Wir würden uns noch wundern, was alles möglich ist, sagte der damalige FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer 2016 so nonchalant wie prophetisch voraus. Und er sollte recht behalten: Im Zeitalter der rechtspopulistischen Internationale kommt man aus dem Staunen bisweilen tatsächlich nicht mehr heraus.

Dabei ist es nicht so, dass uns niemand gewarnt hätte vor den Straches dieser Welt, den Salvinis und den Orbáns, den Trumps und den Johnsons. Jenen starken Männern also, die sich an ihre Fahnen heften, aus der Mitte des Volkes heraus dessen Sprache zu sprechen – und die unsere liberale Demokratie mit all ihren mitunter behäbigen Prozeduren lieber heute als morgen abschaffen würden.

Den Anfängen zu wehren, dafür ist es in vielen Ländern schon zu spät. Ihr Werk beginnen die Demokratiefeinde in unseren Breiten schließlich stets im Kleinen: Da werden Journalisten drangsaliert, Institutionen verächtlich gemacht, Minderheiten stigmatisiert. Und was im Weg steht, wird zur Seite geräumt.

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Der britische Premierminister Boris Johnson schickt Abgeordnete in Zwangsurlaub.
Foto: AP Photo/Rui Vieira, File

Nachdem hierzulande ein Bundeskanzler die Entscheidung des Parlaments für eine Übergangsregierung als Verrat am "Volk" brandmarkte und jenseits des Atlantiks ein US-Präsident die Institutionen der Demokratie per "Shutdown" als Geisel nahm, um eine Mauer zu bauen, öffnet jetzt in London Boris Johnson mittels eines legistischen Tricks die Büchse der Pandora. Indem er die Abgeordneten, die ihm – bei aller inneren Zerrissenheit – Steine in seinen No-Deal-Weg hätten legen können, per Zwangsurlaub mundtot macht, demonstriert der Premierminister Ihrer Majestät der Welt seine Missachtung für den Parlamentarismus.

Schwerste Krise

So wie die meisten rechten Populisten führt aber auch Johnson seinen Kreuzzug gegen die liberale Demokratie gemäß den Buchstaben des Gesetzes. Nichts an seinem Manöver ist illegal. Er und seine – nicht wenigen – Claqueure berufen sich, während sie das gewählte Parlament ausgerechnet inmitten der schwersten Krise in Großbritannien seit 1945 de facto ausschalten, zudem schamlos auf den Willen des Volkes.

Die Abgeordneten, argumentieren sie, würden schließlich danach trachten, das Ergebnis des Referendums zu übergehen und so das Volk des von ihm gewünschten EU-Ausstiegs zu berauben. In der verqueren Logik der Brexiteers kommt das Volk also nur dann zu seinem Recht, wenn sie dessen Sprachrohr abschalten.

Und tatsächlich hat sich der so traditionsreiche britische Parlamentarismus jüngst selbst das Leben schwer gemacht. Viele jener Abgeordneten, die jetzt von einem "Skandal", einem "dunklen Tag für die Demokratie" oder einem "Putsch" sprechen, hätten das Heft des Handelns längst an sich reißen können, indem sie sich auf einen Kompromiss einigen. Labour-Chef Jeremy Corbyn etwa, der die Katastrophe des No Deal in Kauf nahm, um die eigenen Ambitionen auf die Macht nicht zu gefährden.

Stattdessen zog man es vor, sich in Flügelkämpfen aufzureiben und das Land dem Demagogen Johnson auf dem Silbertablett zu präsentieren. Der wiederum hat aus seinen Plänen nie ein Hehl gemacht. Mit ihm gäbe es in Sachen Brexit kein Wenn und Aber mehr, tönte er stets. Einfache Lösungen sind noch immer der rechten Populisten wertvollstes Gut. Auch wenn niemand weiß, wie Johnson seine Versprechen umsetzen will. Man wird sich also noch öfters wundern. (Florian Niederndorfer, 29.8.2019)