Eines der neuentdeckten Tiere erhielt die Bezeichnung Buratina truncata – nach Buratino, dem russischen Pendant zu Pinocchio.
Foto: Alexander Khramov

"Burmese amber" – also Bernstein aus Myanmar – ist in der Paläontologie in den vergangenen Jahren zur Marke geworden: Das Land in Südostasien hat sich nämlich als ergiebige Quelle fossiler Zeugnisse aus dem Erdmittelalter erwiesen. Pflanzenteile ebenso wie Insekten und andere Kleintiere sind als Bernsteininklusen erhalten geblieben und gewähren einen detaillierten Einblick in Ökosysteme früherer Zeitalter.

Ein Beispiel der besonderen Art haben nun Forscher der Russischen Akademie der Wissenschaften im Fachjournal "Cretaceous Research" vorgestellt. Die von ihnen gesammelten Bernsteinklumpen stammen mit einem Alter von etwa 99 Millionen Jahren aus der mittleren Kreidezeit. Es war eine Ära tiefgreifenden Wandels: Die Blütenpflanzen erlebten eine enorme Ausbreitung und schwangen sich gegenüber älteren Pflanzengruppen wie den Bärlappgewächsen zur dominierenden Form auf. Und wie so oft in der Geschichte des Lebens wirkte sich eine Innovation in der Pflanzenwelt auf die Evolution der Tiere aus.

Neue Funde

In den Bernsteinklumpen fanden die Forscher um Alexander Khramov Exemplare mehrerer eng miteinander verwandter Insektenarten, die zu einer erst 2016 entdeckten ausgestorbenen Gruppe zählen. Die Paradoxosisyrinae waren mit den heutigen Netzflüglern verwandt, deren bekanntester Vertreter die Ameisenjungfer respektive deren Larve, der Ameisenlöwe, sein dürfte.

Das "Paradox" tragen die ausgestorbenen Vertreter dieser Gruppe deshalb im Namen, weil sie einen kleinen Rüssel hatten – ein Merkmal, das heutigen Netzflüglern fehlt. Bei der Entdeckung des ersten Insekts aus dieser Gruppe – ebenfalls in Bernstein aus Myanmar eingeschlossen – wurde daher spekuliert, dass sie ebenso räuberisch wie heutige Netzflügler lebten und mit ihrem Rüssel den Panzer von Insekten oder die Haut von Amphibien durchstachen.

Buratina gab ihr Bestes, um sich von Nektar ernähren zu können – auf Dauer war das aber nicht gut genug.
Illustration: Andrey Sochivko

Nachdem Khramovs Team die neuen Funde mikroskopisch untersucht und 3D-Modelle erstellt hat, erteilt er solchen Vermutungen aber eine Absage: Dafür sei der einen Millimeter lange Rüssel des Insekts viel zu schwach gewesen. Er habe nicht aus einer einzelnen Röhre, sondern aus zwei Kanälen bestanden, die überdies nur sehr lose aus jeweils zwei Teilen zusammengefügt waren und nicht fest verschlossen werden konnten.

Die Lösung: Die Paradoxosisyrinae haben sich von Nektar ernährt. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie eine Lebensgemeinschaft mit den aufstrebenden Blütenpflanzen eingegangen waren, ist ihr dichter Pelz. Bei Bestäuberinsekten ist das ein häufiges Merkmal, da sich darin Pollen verfangen und so zur nächsten Pflanze weitergetragen werden können.

Einen Versuch war's wert

Im Grunde waren die Paradoxosisyrinae also Pioniere einer neuen Lebensform – aufgrund ihrer mangelhaften Ausstattung allerdings keine langfristig erfolgreichen. Da sie den Rüssel nicht versiegeln konnten, um echte Saugwirkung zu erzielen, und auch keine pumpende Muskulatur vorhanden war, stieg der Nektar nur aufgrund des Kapillareffekts im Rüssel hoch: ein ineffizientes System.

Andere Insektengruppen wie die Ahnen der heutigen Bienen und Fliegen entwickelten besser geeignete Mundwerkzeuge und lösten die Paradoxosisyrinae daher rasch ab. Khramov spricht von einem gescheiterten Experiment der Natur. (jdo, 30. 8. 2019)