Wien/London – Vom Kind aus dem Slum über die "Hand Gottes" bis in den Absturz führte der Weg von Diego Maradona. Regisseur Asif Kapadia fokussiert in seinem gleichnamig betitelten Filmporträt auf die wichtigste Zeit im Leben des eigenwilligen Fußballstars im Neapel der 1980er Jahre. So gelingt ihm auch ein Blick in eine Zeit, als der Kick noch ein raueres Gesicht zeigte, das ab Freitag im Kino zu sehen ist.

Man spielte jeden Sonntag Fußball, dann wurde bis Mittwoch mit Kokain, Alkohol und leichten Mädchen gefeiert. Der Rest der Woche stand dann im Zeichen des Versuchs, am nächsten Spieltag wieder einigermaßen fit zu sein, heißt es im neuen Streich des britischen Filmemachers, der sich bereits mit Dokus über den Rennfahrer Ayrton Senna und die Sängerin Amy Winehouse einen Namen gemacht hat. Mit der argentinischen Fußballlegende Maradona nimmt sich Kapadia nun dem nächsten ikonischen Charakter mit mehr als filmreifer Vita an. Wirklich baden gehen kann man damit eigentlich kaum, denn schon die Eckdaten des Lebens des beständig zwischen Genie und absolutem Wahnsinn schwankenden Ballkünstlers garantieren von Natur aus viel Spannung.

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Kapadias Trumpf ist das offenbar reichlich vorhandene Archivmaterial über das in Retrospektive erstaunlich öffentliche und filmisch gut dokumentierte Leben Maradonas in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Nur kurz streift der rund 130-minütige Film die Anfänge von Maradonas Karriere, um dann bei der umjubelten Ankunft in Neapel im Jahr 1984 einzuhaken. Sofort wird spürbar, mit welchen Emotionen und Erwartungen der vielversprechende Neuankömmling nach einer eher durchwachsenen Zeit beim großen FC Barcelona in Süditalien aufgenommen wurde.

Tatsächlich sollte er in den kommenden Jahren den Verein aus der sportlichen Peripherie führen. Was zuerst als Win-Win-Situation für die nach Anerkennung lechzende, ewig unterschätzte Stadt am Vesuv und den talentierten, mitunter aber wenig fokussierten Star erscheint, sollte letztendlich zum Bumerang werden. Die frühen Risse im Fundament, wie die Verbindungen zur Camorra und private Verwerfungen spart Kapadia nicht aus. Manches, das Mitspieler, Familienangehörige, Chronisten oder auch der Star selbst preisgeben, ist eindeutig über der Grenze des Voyeurismus.

Annäherung ohne Weichspüler

Die grobkörnigen Bilder aus den 1980ern verstärken den direkten Charakter des Films, der sich intensiv dem Aufstieg zu Weltruhm im Zuge des Weltmeistertitels 1986 – "Hand Gottes" und Jahrhundert-Tor inklusive – und den gewonnenen Meisterschaften mit dem SSC Napoli sowie der gleichzeitigen Entwicklung der immer tieferen Kokainsucht Maradonas widmet. Er habe den schlussendlich gefallenen Weltstar, dessen oft groteske Auftritte mitunter auch heute die Welt noch mehr bewegen als so manches Finalspiel, über 18 Monate hinweg mehrfach getroffen und interviewt, sagte der Regisseur bei der Weltpremiere im Mai beim Filmfestival Cannes. Vermutlich auch durch diese Nähe gelingt ihm ganz ohne Weichspüler eine interessante Annäherung an den Mythos "Maradona".

Als Glücksfall entpuppt sich die Konzentration auf die Beziehung zwischen dem Fußballer und der Stadt, die so beispielhaft für seinen Erfolg, sein Scheitern und seine Verklärung steht. Quasi im Vorbeigehen erhascht der Zuseher auch einen lohnenden Blick in einen Fußballbetrieb, in dem noch nicht alles durchgestylt wirkt und durch Medienberater filtriert wurde, und der trotzdem oder auch deswegen sein wohl schillerndstes und talentiertestes Kind gefressen hat. (APA; 30.8.2019)