Aufbauarbeit im Kleinen: Das Kibera Public Space Project in Nairobi, das Architektinnen seit 2006 gemeinsam mit Bewohnern entwickeln.

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Zerstörungswerk im Großen: der unwiederbringlich verlorene Regenwald in Brasilien, und eine Welt an der Kippe zur Katastrophe.

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Dieser Text sollte eigentlich davon handeln, was die Architektur zum Thema Klimawandel zu sagen hat. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass der Umweltaspekt nichts Neues ist, und in der Architektur erst recht nicht. Das ökologische Bauen, wie wir es heute verstehen, datiert schließlich mindestens in die 1970er-Jahre zurück, mit ihrer Infragestellung des Fortschrittsdogmas und der Industrialisierung. Man kann den Anfang auch in Buckminster Fullers Biosphäre ansetzen, der fast entmaterialisierten geodätischen Kuppel, die er auf der Expo 67 präsentierte.

Die Architekten, könnte man sagen, haben es schon immer gewusst, schließlich sind die Umwelt und jegliche Eingriffe in diese ihr Metier. Doch die Architektur ist per se langsam, und die Bauindustrie ist noch langsamer als die Ideen der Architekten. Weswegen auch heute noch, 50 Jahre nach Fuller, in Beton und Stahl gebaut wird. Weswegen heute 13 Milliarden Tonnen Sand pro Jahr verbraucht werden und illegaler Sandabbau zum Geschäft für organisierte Kriminalität geworden ist, mit enormen Schäden für Mensch, Tier und Natur.

Es sollte in diesem Text um Ausnahmezustände wie diesen gehen, aber auch um Architektur, die den entgegengesetzten Weg einschlägt. Zum Beispiel um die Wohnanlage MGG22 in Wien-Stadlau, die zurzeit fertiggestellt wird. Hier wird erstmals im sozialen Wohnbau die thermische Bauteilaktivierung zum Heizen und Kühlen mit Windenergie eingesetzt, ein Schritt in Richtung einer CO2-neutralen Stadt. Auf dieser Baustelle war es auch, wo Planungsstadträtin Birgit Hebein Ende Juli pressewirksam die Festlegung von Klimaschutzgebieten in Wien verkündete, in denen ab 2020 Öl- oder Gasheizungen im Neubau untersagt sein werden.

Feigenblatt

Es wäre hier sicher auch kritisch darauf eingegangen worden, ob Maßnahmen wie die Begrünung von Fassaden, das Versprühen von Wasser und das Verlegen von Kunstrasen sinnvolle Schritte im Kleinen sind, oder, wie Sabine Pollak im STANDARD-Architekturblog schrieb, nur die Symptome und nicht die Ursachen behandeln (dies wäre bejaht worden).

Ob man nicht einige Nummern größer denken müsse und, wie die spanische Stadt Pontevedra, den Autoverkehr aus den Innenstädten entfernen sollte, ohne mit noch dem letzten unbelehrbaren Stellplatzlobbyisten eine Grundsatzdiskussion anzufangen (auch dies wäre bejaht worden).

Es wäre mit Sicherheit die Frage der Raumordnung zur Sprache gekommen, die einen weit größeren Hebel bei der Korrektur der Auswirkungen des Klimawandels böte als Nebelduschen in Ottakring. Mehr als nur die Begrünung von Dächern und Fassaden, die Daniel Fügenschuh, Bundesvorsitzender der Architekten- und Vizepräsident der Ziviltechnikerkammer, zu Recht als "Feigenblattpolitik" bezeichnete. Trotz leichten Rückgangs ist Österreich immer noch Meister der Bodenversiegelung und Zersiedelung.

Steigender Meeresspiegel

Es wären auch die Architekten nicht ungeschoren davongekommen, die zu oft daran glauben, dass es für jedes Problem der Welt eine architektonische Lösung gibt, dass man einfach immer nur etwas entwerfen, planen und bauen muss, um die Welt besser zu machen.

Gigantische Projekte gegen den steigenden Meeresspiegel wie die "Seawall Jakarta" oder das "Big U" in New York City, geboren aus Wie-cool-ist-das-denn-Optimismus und Machbarkeitseuphorie, dargeboten in der gleichen aufgeregt-bombastischen Sprache wie jene ressourcenverschwendenden Großprojekte, die den ganzen Mist mit angerichtet haben.

Der Text hätte dann übergeleitet zu jenen, die Architektur anders denken. Wie die Kuratorinnen der Osloer Architekturtriennale, die im September eröffnet wird und sich unter dem Motto "Degrowth" dem Dogma des ewigen Wachstums entgegenstellt. Nicht im Sinne von Rückzug und Stagnation, sondern im Sinne neuer Arten, die Gesellschaft zu organisieren.

Sorge tragen

Es wäre nachdrücklich die noch bis September gezeigte Ausstellung "Critical Care" im Wiener Architekturzentrum empfohlen worden, die 21 Projekte vorstellt, die Handlungsmöglichkeiten für einen Planeten in der Krise aufzeigen und eben keine schaumgeborenen Science-Fiction-Träumereien sind, sondern Realität. Projekte, die das "Sorgetragen" umsetzen, einmal in der Stadt, einmal auf dem Land.

Projekte, die verbessern und reparieren, was es schon gibt, mit Fähigkeiten, die es schon gibt und die nur besser verteilt werden müssen. Ein "Sorgetragen", dessen weibliche, feministische Konnotationen kein Zufall sind und die schon 1990 von Joan Tronto und Berenice Fisher in "Toward a Feminist Theory of Caring" analysiert wurde. Der Text wäre dann zu einem vorsichtig optimistischen Schluss gekommen.

"Nischenthema"

Doch jetzt brennt der Urwald am Amazonas, und beim G7-Gipfel in Biarritz bezeichneten die US-Delegierten den Klimawandel als "Nischenthema", über das zu diskutieren sie keine Lust hätten. War die Entwaldung in Brasilien seit 2008, auch dank der Umweltpolitik der damaligen Ministerin Marina Silva, leicht zurückgegangen, fürchten Fachleute jetzt den baldigen Kollaps. Ökosystem und Zivilisation stehen kurz vor der irreversiblen Kippe, die Worst-Case-Szenarien werden im Flug von der Realität eingeholt.

Wenn Psychopathen wie Jair Bolsonaro (und, ja, es sind fast alles Männer) auf globaler Ebene ihr Zerstörungswerk im Fast-forward-Modus vollenden, was kann das Sorgetragen auf lokaler Ebene noch ausrichten? Wenn das, was konstruktiv in der Stadt, im Dorf, in der Region aufgebaut wird, mit der Dampfwalze niederplaniert wird? Wenn die Welt brennt, hilft auch keine Nebeldusche mehr. (Maik Novotny, 1.9.2019)