Dicke Tränen rinnen Mapu Huni Kui über die Wangen und verwischen die Gesichtsbemalung. Er blinzelt immer wieder, um das Wasser aus den geröteten Augen zu bekommen. "Ich spüre das Leid des Waldes, den Schmerz der Natur", sagt der 30-jährige Indigene aus dem Regenwald Brasiliens in einem Garten am Rande von Wien. Zum Interview ist er in traditioneller Kleidung gekommen.

Zuvor hat ihm seine 24-jährige Schwester Bismani Huni Kui über ein Blasrohr die heilige Medizin Rapé verabreicht: eine Mischung aus Tabak und der Asche verschiedener Heilpflanzen aus dem Amazonasgebiet. Mit einem sanften Ausatmen blies sie ihrem Bruder das Pulver in jedes seiner Nasenlöcher. Der Ritus, dem ein Gebet vorangeht, soll den Körper von Giften reinigen, zudem das dritte Auge öffnen und eine Verbundenheit mit der Natur fördern.

Rapé ist den Huni Kuin heilig. Die Medizin wird über die Nase verabreicht. DER STANDARD war bei einem Rapé-Ritus dabei.
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"Der große Geist"

Die Verbundenheit leben die Huni Kuin seit Hunderten von Jahren im brasilianischen Amazonasgebiet an der Grenze zu Peru und Bolivien. Sie glauben, dass "der große Geist" der Ursprung der Schöpfung ist, deren Teil alle Lebewesen sind. Tiere und Pflanzen sind den Huni Kuin heilig, sogenannte "Mutterbäume" noch mehr, da sie Geisterwesen ein Zuhause bieten sollen. Und genau diese Heiligtümer sterben, werden von Großgrundbesitzern und Holzunternehmen gefällt.

Wenn Mapu über die Zerstörung seines Lebensraums spricht, dann hält er den Blick des Gegenübers und findet deutliche Worte. Er fühlt sich als Kazike – ein politischer und spiritueller Anführer der Indigenen – dazu verpflichtet, der Abholzung Einhalt zu gebieten. "Die Zerstörung des Waldes findet schon lange statt", erzählt Mapu, "aber unter der Führung von Präsident Jair Bolsonaro hat sie sich intensiviert." Bolsonaro hat bereits vor seinem Amtsantritt im Jänner klargemacht, dass er das Amazonasbecken wirtschaftlich weiter erschließen will, Indigene bezeichnete er als "Tiere im Zoo", und seine Rhetorik bestärkte Landwirte, mehr Wald für Weidefläche und Sojaanbau zu roden.

"Es wird ja nicht nur unser Land, sondern das Land der gesamten Welt attackiert", sagt Mapu. "Es ist die größte Zerstörung des Planeten seit Anbeginn der Zeit." Er appelliert an die Regierungen, Unternehmen und an jeden Konsumenten: "Wenn wir nicht bald mit der Zerstörung aufhören, wird irgendwann niemand mehr etwas zu essen haben."

Demonstration in Wien

Mit seinem Anliegen demonstrierte das Geschwisterpaar gemeinsam mit rund 300 Unterstützern auch vor der brasilianischen Botschaft in Wien. Während der Reise soll auch eine Rede vor dem EU-Parlament kommende Woche auf dem Plan stehen. Denn die Verantwortung würden auch die europäischen Regierungen tragen: "Wer Geschäfte mit Bolsonaro macht, der stimmt der Zerstörung zu."

Mapu und Bismani vor der Botschaft Brasiliens.
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Die macht auch vor dem von Mapu und Bismani gegründeten Zentrum nicht halt. Unweit der Großstadt Rio Branco, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Acre, wollen die beiden einen Ort schaffen, um Angehörigen ihres Volkes eine Zuflucht zu bieten. Im Wiederansiedlungs- und Kulturzentrum Huwã Karu Yuxibu sollen all jenen Huni Kuin ihre Kultur zurückgegeben werden, die in der Stadt nicht Fuß fassen konnten – etwa wegen des Rassismus in Brasilien gegen Indigene. Bismani erzählt von Beschimpfungen am Markt oder Mobbing ihrer Kinder: "Müsstet ihr nicht nackt herumlaufen?", hören sie immer wieder. Oder die Frage, warum sie überhaupt in die Schule gehen, wenn sie doch im Wald hausen.

Doch vergangene Woche wurde das Zentrum, das auf von den Huni Kuin gekauftem Land steht, Opfer eines Brandanschlags. An drei Orten legten die Angreifer Feuer. Das Motiv ist unklar, aber mehrere Hektar Wald wurden zerstört. "Rundherum brannte nichts, deshalb muss es sich um einen Anschlag handeln", ist sich Mapu sicher. Die Nachbarn der Indigenen: Großgrundbesitzer, die Holzfirmen, die Bäume auf ihrem Gebiet abholzen lassen und es dann an Viehzüchter als Weidefläche vermieten.

Alternativer Anbau

Dass die Menschheit auch ohne die großflächige Zerstörung des Regenwalds ernährt werden kann, dessen ist sich Bismani sicher. Man müsste wieder auf kleinräumige Landwirtschaft setzen und regionale Obst- und Gemüsesorten anstatt Rindfleisch konsumieren. Gemeinsam mit Vertreterinnen anderer indigener Völker tauscht sie sich unter anderem regelmäßig über alternative Anbaumethoden aus. "Wir beraten uns, wie wir am Flussufer Landwirtschaft betreiben können, damit wir den Wald nicht zerstören müssen." (Bianca Blei, Video: Andreas Müller, 2.9.2019)