Foto: privat

Droht Österreich ein Ärztemangel? Über diese Frage streiten sich Interessenvertreter und Politiker. Fix ist, dass die Zahl der Kassenärzte seit langem stagniert, während jene der Wahlärzte stark zunimmt. Ein Kassenvertrag ist für Mediziner heute längst nicht mehr so erstrebenswert wie früher.

Janine Hendler blieb von dieser Problematik lange unberührt. "Ich habe einen sehr guten Hausarzt, der sich immer Zeit genommen hat", sagt die Burgenländerin. Als sie dann einen Job in der Patientenannahme eines Krankenhauses hatte, war für sie nur schwer zu verstehen, dass "jede zweite Überweisung von einem Wahlarzt" kam. So entstand die Idee, die Masterarbeit in ihrem Studium des Integrierten Versorgungsmanagements an der Fachhochschule Burgenland zu diesem Thema zu schreiben.

Die 1993 geborene FH-Absolventin befragte vorzugsweise Wahlärzte, die zuvor einen Kassenvertrag hatten und daher beide Welten kennen. Zudem wertete sie Patientenfragebögen aus. Die Bedürfnisse beider Seiten sollten festgestellt werden, um die Hintergründe des burgenländischen Wahlarztbooms auszuleuchten. Immerhin gebe es hier um 48,5 Prozent mehr Wahl- als Kassenärzte.

Schnellere Termine, längere Patientengespräche, die Möglichkeit, eine langfristige Beziehung zum Arzt aufzubauen – das sind für Hendler laut ihrer Untersuchung aus Patientensicht die wichtigsten Argumente für Wahlärzte. Ein großer Teil der Patientinnen und Patienten ist bereit, dafür das übliche Honorar von 100 bis 150 Euro auszugeben. "Sozioökonomische Faktoren machen hier kaum einen Unterschied", sagt die Absolventin. Auch die Mediziner fühlen sich als Wahlärzte viel wohler. "Sie sind glücklicher, blühen richtig auf. Auch sie streben ein langfristiges Verhältnis zu ihren Patienten an." Ein Kassenarzt, der für den gleichen Umsatz weit mehr als das Doppelte an Patienten benötigt, hat aber pro Termin oft nur knapp zehn Minuten zur Verfügung. Kassenärzte seien also klar benachteiligt, sie leiden unter viel zu strikten Strukturen.

Die Ergebnisse illustrieren einen Wandel im Verhältnis von Arzt und Patienten. "Der Arzt ist nicht mehr der Gott in Weiß. Man geht weg von einer patriarchalen hin zu einer partizipativen Entscheidungsfindung. Arzt und Patient sehen sich dabei eher als Team", sagt Hendler. Es zeige sich, dass das System stark veraltet ist und die Bedürfnisse der Gegenwart nicht mehr befriedigen kann. Dass Kassenärzte in Österreich ab Herbst nun auch andere Ärzte anstellen dürfen, hält Hendler für einen Schritt in die richtige Richtung. Primärversorgungszentren, die 2017 gesetzlich ermöglicht wurden, sieht sie dagegen kritisch, weil auch hier die langfristige Beziehung zu einem Arzt nicht gegeben sei.

Das Interesse für den Gesundheitsbereich gab es schon in der Schulzeit, sagt die in Eisenstadt aufgewachsene Hendler, und mündete schließlich in der Entscheidung für ein Gesundheitsmanagement-Studium an der FH Burgenland. Dass die Suche nach dem richtigen Arzt tatsächlich ein schwieriger Prozess sein kann, erfuhr die Burgenländerin vor kurzem letztendlich auch am eigenen Leib. Mit einem gebrochenen Bein gelangte sie von der Gesundheitswissenschaft in die Praxis. (pum, 30. 8. 2019)