Der Streit zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem brasilianischen Staatsoberhaupt Jair Bolsonaro über die Frage, ob die Weltgemeinschaft bei Ursachen und Bekämpfung der Waldbrände im Amazonasgebiet mitreden darf, ist nicht nur ein Clash zweier unterschiedlicher Persönlichkeiten und politischer Ideologien. Diese Diskussion betrifft eine Kernfrage unserer Weltordnung und möglicherweise das Überleben des Planeten.

Wenn Bolsonaro sich jede Einmischung von außen in die Politik seines Landes als neue Form des Kolonialismus verbittet und deshalb auch Finanzhilfe der G7-Staaten ausschlägt, dann folgt er dem Prinzip, das vor 370 Jahren im Westfälischen Frieden festgelegt worden ist und bis heute die internationale Politik bestimmt: Staaten sind souverän und können ihre Politik autonom gestalten. Damit wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg zwar kein ewiger Frieden geschaffen, aber das blutige Chaos der Religionskriege, in denen der Glaube keine Grenzen anerkannt hatte, beendet.

Im Amazonasgebiet wüten außer Kontrolle geratene Waldbrände.
Foto: APA/AFP/NASA Earth Observatory/JOSHUA STEVENS/HO

Auch heute ist Souveränität nicht absolut. Die Uno-Charta legt Staaten Verpflichtungen bei Menschenrechten auf, die bei groben Verstößen Interventionen rechtfertigen. Es ist bezeichnend, dass autoritäre Staaten wie Russland und China heute am lautesten auf ein absolutes Recht auf Nichteinmischung pochen. In Europa hingegen hat die EU das Prinzip der Souveränität stark beschnitten.

Zunehmende Globalisierung

Aber auch hierzulande ist der Glaube weitverbreitet, dass ein unabhängiger Staat und seine Bürger am besten selbst entscheiden. Dieser Wunsch steht hinter dem Brexit-Votum und hat auch in Österreich Tradition: von "Wir Österreicher wählen, wen wir wollen" der Bundespräsidentschaftskampagne von Kurt Waldheim 1986 bis zu den aktuellen FPÖ-Plakaten, auf denen sich Norbert Hofer als "heimattreu" anpreist. Wir müssen unsere Interessen gegen die da draußen verteidigen – diese Haltung speist den neuen Nationalismus.

Die zunehmende Globalisierung führt diese Vorstellung ad absurdum. Staaten sind wirtschaftlich und gesellschaftlich voneinander abhängig, Probleme können nur gemeinsam gemeistert werden. Wer, wie die britische Regierung, durch Abkapselung mehr souveräne Kontrolle anstrebt, schwächt sich selbst und macht sich dadurch noch abhängiger.

Und beim Klimawandel verliert die Souveränität überhaupt jede Berechtigung. Alles, was in einem Land geschieht, geht den Rest der Welt an. Das betrifft nicht nur die Abholzung der Regenwälder in Brasilien, Afrika und Asien, sondern auch die steigende Kohleverbrennung in China und den umweltbelastenden Lebensstil in den Industriestaaten. Weitere Beispiele für Vergehen gegen das globale Wohl finden sich nicht nur im Großen in Donald Trumps Amerika, sondern im Kleinen auch in Österreich, das mit niedrigen Treibstoffsteuern den Tanktourismus fördert und so den Klimaschutz der Nachbarländer untergräbt.

Es ist der Nationalstaat selbst, der das Weltklima gefährdet, doch die meisten Menschen wollen das nicht erkennen. Dies gibt Rechtspopulisten wie Bolsonaro oder Johnson die Chance, mit Appellen zur Verteidigung der Heimat Wahlen zu gewinnen.

Dieses Denken zu verändern wäre eine der größten Aufgaben der Klimabewegung – aber sie ist auch ganz besonders schwierig. Es könnte länger dauern, als die Erde uns Zeit gibt. (Eric Frey, 30.8.2019)