Spätestens in der Wahlkabine stellt sich die Frage: Wohin mit dem Kreuz?
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1. Ku|schel|kurs, der

Das offenkundigste Beispiel für schonungsloses Anbiedern an eine andere Partei liefert aktuell FPÖ-Chef Norbert Hofer: Er will noch einmal mit der ÖVP. Das sagt er klar und unverblümt. Lieblingssatz des Freiheitlichen: "Wir möchten den erfolgreichen türkis-blauen Weg fortsetzen."

Was passiert an der Oberfläche?
Ein Politiker oder mehrere Vertreter einer Partei loben Funktionäre einer anderen, befürworten den Kurs oder übernehmen sogar Themen und Konzepte des politischen Gegners. Im Wahlkampf wird dann schnell der Schluss gezogen: Es gibt offenkundig eine große Schnittmenge zwischen den beiden, nach der Wahl wollen sie daher koalieren.

Was ist die eigentliche Strategie dahinter?
Hinter den geschlossenen Türen der Wahlkampfstrategen-Büros schaut die Sache zumeist ganz anders aus. Auf Kuschelkurs mit einer anderen Partei begibt man sich in der Regel, um die Sympathisanten des Gegners anzusprechen und bestenfalls zu klauen. "In solchen Situationen tobt im Hintergrund fast immer ein erbarmungsloser Kampf um Wähler, die für beide Parteien ansprechbar sind", sagt Politikberater Thomas Hofer.


2. An|griff, der

Für die ÖVP sind Sozialdemokraten Schmutzkübelkampagnenprofis, die keine Gelegenheit auslassen, ihren Chef Sebastian Kurz anzupatzen. Für die SPÖ ist die Volkspartei sozial kalt und nur an Großspendern und Konzerninteressen interessiert – beides sind klassische politische Verbalangriffe.

Was passiert an der Oberfläche?
Eine Partei attackiert eine andere – oder teilt falsches Lob aus. Beobachten konnte man das etwa, als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner den türkis-blauen Familienbonus anerkennend erwähnte. Mit dem Nachsatz: Leider bekommen ihn nicht alle, die ihn bräuchten. Politberater Hofer betont: "Ein inhaltlicher Angriff hat noch nichts mit Dirty Campaigning zu tun."

Was ist die eigentliche Strategie dahinter?
Verbalangriffe werden in der Regel gegen eine Partei gestartet, von der keine Stimmen zu holen sind. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Parteien später miteinander koalieren könnten oder nicht. Ziel ist es zumeist, Unterschiede herauszuarbeiten – möglicherweise sogar, um Wähler aus einem dritten Lager zu gewinnen. Das wäre etwa der Fall, wenn die ÖVP die SPÖ attackiert, um FPÖ-affine Bürger anzusprechen.


3. igno|rie|ren, jmdn.

In den TV-Duellen der Spitzenkandidaten wird Listengründer Peter Pilz nur selten Spitzenkandidaten gegenübersitzen. Das liegt daran, dass ÖVP wie auch SPÖ gegen Pilz im ORF ihren "Joker" einlösen – und einen Reservekandidaten in die Live-Konfrontation schicken.

Was passiert an der Oberfläche?
Ein Funktionär zeigt einem anderen die kalte Schulter und lässt sich auf eine Debatte erst gar nicht ein. Oder – was man unter Türkis-Blau immer wieder beobachten konnte – eine Partei reagiert auf ein Thema oder einen Vorfall einfach nicht. Wir erinnern uns: Von seinen politischen Kontrahenten wurde Kurz lange Zeit gerne "der Schweigekanzler" genannt.

Was ist die eigentliche Strategie dahinter?
Jemanden zu ignorieren ist eine sehr effektive Form, Geringschätzung auszudrücken. Auf Themen nicht zu reagieren kann darüber hinaus klug sein, um sie abzudrehen. Man nennt das auch "Message-Control". Denn für Medien sind Reaktionen der Sauerstoff, der das Feuer einer Geschichte erhält. Zu langes Schweigen birgt aber auch die Gefahr, dass einer Partei der Diskurs entgleitet – letzten Endes alles eine Frage der Abwägung.

(Katharina Mittelstaedt, 31.8.2019)