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Straßenkämpfe in Kunduz.

Foto: Reuters/Afghan Interior Ministry

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Am Samstag traf Verstärkung für die afghanischen Truppen in Kunduz ein.

Foto: AP/Bashir Khan Safi

Während in Doha Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban laufen, wurde die afghanische Stadt Kunduz angegriffen.

Foto: APA/AFP

Kabul – Bei Gefechten und einem Anschlag in der nordafghanischen Stadt Kunduz sind mehrere Menschen getötet worden. Erst hatten Hunderte Taliban-Kämpfer in der Nacht zum Samstag die Stadt von mehreren Seiten aus angegriffen. Am Abend zündete während andauernder Gefechte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste inmitten von Sicherheitskräften und Journalisten.

Der Angriff auf Kunduz erfolgte zu einer Zeit, in der die Gespräche zwischen den Taliban und den USA im Golfemirat Katar über eine politische Lösung des seit fast 18 Jahren andauernden Konflikts in einer entscheidenden Phase waren. Zuletzt hatten sich beide Seiten optimistisch gezeigt, bald ein Abkommen erzielen zu können.

Teile der Stadt unter Taliban-Kontrolle

Dem Provinzrat Ghulam Rabbani zufolge begann der Angriff auf Kunduz gegen 1 Uhr nachts. Sie hätten mehrere Einrichtungen und Gebiete in der Stadt eingenommen, darunter das Provinzkrankenhaus, die Zentrale der Elektrizitätsversorgung und den dritten Polizeibezirk der Stadt. Später hätten sie sich in Häusern verschanzt und Gefechte mit den Sicherheitskräften geliefert. Luftschläge auf Taliban-Positionen hätten deren Vorstöße verlangsamt.

Die Sicherheitskräfte seien dabei, die Taliban-Kämpfer zurückzuschlagen und die Gebiete zu sichern, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministerium am Nachmittag. Es sei genügend Unterstützung nach Kunduz entsandt worden. Polizei und Armee würden in mindestens drei Stadtteilen gegen die Taliban kämpfen und andere sensible Punkte sichern.

Berichte über Unterstützung durch US-Kräfte wies der Sprecher zurück. Auch alle Luftschläge seien von der afghanischen Luftwaffe durchgeführt worden. Ein Regierungssprecher teilte allerdings später ein Foto auf Twitter, das den Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, General Austin Scott Miller, gemeinsam mit Verteidigungsminister Azadullah Khalid in Kunduz zeigte.

General Austin Scott Miller in Kunduz.

Provinzrat Rabbani sagte, die Sicherheitskräfte könnten aus Rücksicht auf das Leben von Zivilisten nur langsam vorgehen. Nach Angaben des Abgeordneten Fazal Karim Aimaq aus Kunduz hatten sich die Taliban bis zum späten Nachmittag nur aus einem Gebiet zurückgezogen. Er befürchtete eine erneute Intensivierung der Kämpfe in der Nacht.

Dem Innenministerium zufolge wurden bei den bisherigen Luftschlägen und Bodenoperationen rund 40 Taliban-Kämpfer getötet. Diese Zahlen konnten jedoch nicht überprüft werden. Regierungsbeamte sind dafür bekannt, Opferzahlen der Taliban zu übertreiben.

Lokale Medien berichteten von zwischen drei und acht getöteten Zivilisten und Sicherheitskräften. Der gut vernetzte Journalist Bilal Zarwari schrieb auf Twitter, mindestens 15 Menschen seien bisher ums Leben gekommen. Er berief sich auf Quellen in Kunduz.

Selbstmordattentat auf Polizeichef

Am frühen Abend brachte laut Rabbani dann ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste inmitten von Sicherheitskräften zur Detonation, als der Polizeichef der Provinz gerade bei einem Kreisverkehr im Zentrum Journalisten Interviews gab. Der Polizeichef sei verwundet worden, ein Sprecher und mehrere weitere Sicherheitskräfte und Journalisten getötet worden. Der lokale TV-Sender ToloNews berichtete, mindestens zehn Menschen seien ums Leben gekommen und mehrere weitere verletzt worden.

Die Taliban reklamierten den Anschlag für sich. Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid schrieb auf Twitter, ein "Märtyrerangriff" im Zentrum von Kunduz habe den Polizeichef der Stadt sowie Spezialkräfte zum Ziel gehabt.

Die Taliban kontrollieren weite Teile der Provinz Kunduz, in der bis vor einigen Jahren die deutsche Bundeswehr als Schutzmacht stationiert war. Im Rahmen der NATO-Mission "Resolute Support" ist noch eine kleine Gruppe deutscher Soldaten dort, um die afghanische Armee zu beraten. Im Lager "Pamir" bei Kunduz-Stadt sind derzeit rund 80 Bundeswehr-Soldaten stationiert. Im ganzen Land sind es rund 1.200.

Bundeswehr-Lager beschossen

Nach Angaben eines Sprechers des Einsatzführungskommandos in Potsdam wurde das Bundeswehr-Lager bei Kunduz am Samstag beschossen. Ein noch nicht näher identifiziertes Geschoß sei am Morgen auf dem Gelände nahe dem Stadtgebiet eingeschlagen, ohne jemanden zu treffen oder zu verletzen. Einen Zusammenhang zu dem zeitgleich laufenden Taliban-Großangriff konnte der Sprecher zunächst nicht bestätigen.

Kunduz-Stadt war bereits im Herbst 2015 und 2016 kurzzeitig an die Taliban gefallen. Provinzräte sagten am Samstag, sie hätten in den vergangenen Wochen und Monaten mehrmals vor einem erneuten Angriff der Taliban auf die Stadt gewarnt.

Erst am Freitag hatten die Taliban in mehreren Bezirken der Nachbarprovinz Takhar massive Angriffe auf die Sicherheitskräfte durchgeführt. Provinzräten zufolge konnten sie Teile des Bezirkszentrums von Chah Ab erobern, griffen eine Basis der Sicherheitskräfte im Bezirk Baharak an sowie Polizeikräfte im Bezirk Darkad. Dutzende Sicherheitskräfte seien dabei getötet worden, allerdings gebe es keine genauen Angaben.

Analysten zufolge sehen die Taliban militärische Gewinne als wichtiges Druckmittel in den Gesprächen über Frieden. Die jüngste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA hatte vor acht Tagen in Doha begonnen. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge sowie Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terrorismus wird. Die Gespräche sollen in offizielle Friedensgespräche der Regierung in Kabul mit den Taliban münden. Auch ein Waffenstillstand soll Thema sein. (APA, red, 31.8.2019)