Eine Köchin verliert ihren Job, weil sie den Zwölfstundentag nicht akzeptiert: Die Geschichte schlug hohe Wellen, kurz nachdem das neue Arbeitszeitgesetz vor einem Jahr in Kraft getreten war. Die türkis-blaue Koalition hatte auf den Weg gebracht, was die rote Reichshälfte sich gern durch Zugeständnisse an die Arbeitnehmer hätte abkaufen lassen, auch die Grünen waren dagegen: Die erlaubte Höchstarbeitszeit wurde von zehn auf zwölf Stunden am Tag und von 50 auf 60 in der Woche erhöht.

Die Arbeiterkammer (AK) sah sich schnell in ihren Bedenken bestätigt, vor allem was den Knackpunkt Freiwilligkeit – er wurde nach heftigen Protesten ins Gesetz aufgenommen – betrifft: Das in den neuen Regeln verankerte Prinzip wirke nicht. Arbeitnehmer dürfen ihm gemäß die elfte und zwölfte Arbeitsstunde ablehnen.

Im Sommer des Vorjahres spielte sich der Klimawandel zwischen den Sozialpartnern ab. Das neue Arbeitszeitgesetz sorgte für hitzige Diskussionen.
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Ein Jahr später hat sich die Meinung in der Arbeiterkammer nicht geändert. Man sei immer wieder mit entsprechenden Fällen konfrontiert: "Der Zwölfstundentag ist in den Arbeitsverhältnissen angekommen", stellt Irene Holzbauer, die Leiterin der Abteilung Arbeitsrecht der Arbeiterkammer, fest.

Auch die Wirtschaftskammer (WKÖ) bleibt bei ihrer Position. Dass die Hilfsköchin dem neuen Arbeitszeitregime zum Opfer fiel, hatten Kammerfunktionäre schon als der Fall bekanntgeworden war angezweifelt. Solche Vorkommnisse seien Ausnahmen geblieben, so WKÖ-Chef Harald Mahrer. Die einen dagegen, die anderen dafür, so weit, so bekannt. Martin Risak, Arbeitsrechtler an der Universität Wien und von Anfang an dezidierter Kritiker des Gesetzes, bleibt ein Jahr später dabei: "Das Gesetz ist technisch schlecht gemacht." Hinsichtlich dessen, wie mit Überstunden bei Gleitzeit umgegangen wird, hätte es aus juristischer Sicht einer Sanierung bedurft. Doch was sagen die Zahlen – soweit es sie gibt?

Eine neue Sora-Umfrage, die erste zum Thema, stützt die AK in dem Punkt, dass die neuen Regeln genützt werden. Rund ein Drittel der Arbeitnehmer in Wien gab an, vom Zwölfstundentag betroffen zu sein. Ähnlich das Bild einer Deloitte-Umfrage bei Führungskräften. Ihr zufolge ist das neue Regime bereits in fast jeder dritten Firma Realität.

Wer profitiert?

Doch profitieren die Unternehmer auf dem Rücken der Arbeitnehmer, wie die Arbeitnehmervertreter behaupten? "Natürlich nicht", sagt Petra Nocker-Schwarzenbacher. Die Tourismusobfrau in der WKÖ betreibt ein Hotel samt Landgasthaus. Mit dem Prinzip "Wer nicht spurt, der fliegt" komme man in Zeiten des Fachkräftemangels nicht weit, sagt sie, räumt aber ein, dass gutes Einvernehmen im Betrieb hilfreich sei. Auch Robert Machtlinger, Vorstandschef beim Innviertler Luftfahrtzulieferer FACC, sieht nur Vorteile: Für den Betrieb sei alles weniger aufwendig, die Mitarbeiter hätten mehr Gestaltungsspielraum. Gut für alle.

Protestiert wurde erfolglos. Die Novelle wurde von Türkis-Blau beschlossen. Seither ist bei Gleitzeit eine tägliche Normalarbeitszeit von bis zu zwölf Stunden erlaubt, bis dahin lag sie bei zehn Stunden. Im Gleitzeitrahmen, der zwischen Unternehmen und Mitarbeiter ausgehandelt wird, kann ein Beschäftigter seinen Arbeitsalltag gestalten. Die Idee aus Sicht der Arbeitgeber: weniger Zusatzkosten für Überstunden. Die Höchstarbeitszeit pro Woche wurde von 50 auf 60 Stunden angehoben.
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Besser geworden sei die Lage für Arbeitnehmer nicht, eher im Gegenteil, sagt hingegen Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp), jüngst und verwies auf Beschäftigte mit All-in-Verträgen, mit denen Überstunden pauschal abgegolten werden. Aktuelle Zahlen über deren Ausmaß gibt es nicht. Doch die Schätzung der Statistik Austria aus dem Jahr 2015, wonach rund 540.000 Beschäftigte betroffen sind, lässt den Schluss zu, dass es sich um eine relevante Größenordnung handeln könnte.

Mit den neuen Arbeitszeitregeln würde in diesem Bereich mehr Arbeit zum gleichen Geld notwendig, so Teiber, die diesen Schluss aus der Auswertung des All-in-Rechners der GPA zieht. Demnach wurde bei 44 Prozent eine Unterbezahlung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden durch das All-in-Gehalt festgestellt. Der Grund: All-in-Verträge, die vor der Novelle abgeschlossen wurden, decken nur die alten Höchstarbeitszeiten ab. Da müsse man genau hinsehen, so Teiber. Auch der Arbeitsrechtler Risak geht davon aus, dass da noch so einiges an unbezahlter Arbeitszeit schlummert.

Was das Recht auf Freiwilligkeit betrifft, bleiben Gewerkschaft und AK dabei: Viel bleibe davon nicht. "Wenn man seine Rechte geltend machen möchte, riskiert man den Verlust seines Jobs", so AK-Arbeitsrechtlerin Irene Holzbauer. Die Arbeitnehmer würden sich schlicht nicht trauen, sich zu wehren. Mahrer sieht das alles naturgemäß anders: Auch die Beschäftigten hätten nach mehr Flexibilität verlangt.

Besonders umstritten war die Freiwilligkeit. Mussten die Arbeitgeber vorher darlegen, dass es erhöhten Arbeitsbedarf gibt, um die Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden ausdehnen zu dürfen, müssen nun Arbeitnehmer darlegen, dass sie aus persönlichen Gründen nicht länger arbeiten dürfen als zehn Stunden.
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Die Wahrheit liegt wohl wie so oft irgendwo in der Mitte. Von aufsehenerregenden Fällen, in denen aus dem Prinzip Freiwilligkeit bei der Ableistung von Überstunden Verpflichtung wurde, hörte man zuletzt kaum. Allerdings ist die juristische Aufarbeitung laut Risak erst am Anfang. Der Ruf aus der AK "Weg mit dem Zwölfstundentag" verstummt ohnehin nicht. Das von der SPÖ im Herbst schmerzlich vermisste "Einvernehmen zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern" in Sachen Arbeitszeit sieht WKÖ-Chef Mahrer dagegen aufs Schönste verwirklicht: "Wir haben gewusst, wo der Schuh drückt, wenn etwa in manchen Branchen Auftragsspitzen abzuarbeiten sind. Alles in allem ist alles Bussi", sagt Mahrer. Risak kontert, dass in Zeiten ständiger Erreichbarkeit eine juristisch verankerte Gegenstrategie, wie man für Arbeitnehmer die Freizeit absichere, fehle.

Im Juni 2018 beantwortete Wirtschaftsredakteur András Szigetvari Fragen zum 12-Stunden Tag im Video.
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Abgefedert

Was die Unternehmen betrifft, so hängt der Nutzen von der Branche ab. Beim Gewerkschaftsbund (ÖGB) betont man, das Gesetz in einigen KV-Verhandlungen abgefedert zu haben. Bei den Metallern, in der Elektro- und Elektronikindustrie und bei den Bierbrauern wurde die elfte und zwölfte Arbeitsstunde verteuert. Im Handel, wo umgesetzt wurde, womit Türkis-Blau geworben hatte, die Viertagewoche, ist der Zwölfstundentag "kein großes Thema", heißt es etwa bei Spar.

In der Gastronomie ist es hingegen ein offenes Geheimnis, dass lediglich legalisiert wurde, was großteils Praxis war. "Jetzt kann ich Dienstpläne so schreiben, wie es wirklich ist", sagt die Gastronomin Nocker-Schwarzenbacher. Der Installateur Robert Greibich sieht das ähnlich. Jetzt könne er den Monteur am Abend zur Schadensbehebung zu Kunden schicken, ohne illegal unterwegs zu sein. Viele seiner 25 Mitarbeiter würden im Gegenzug gerne die Möglichkeit nützen, nur vier Tage zu arbeiten. Das ging allerdings auch schon vor dem neuen Regime. Und wer sagt, dass nicht allein der Chef vorgibt, wie es läuft? "Wir haben Facharbeitermangel in der Region", so Greibich. "Wir müssen unsere Mitarbeiter auf Händen tragen." (2.9.2019, Lena Langbauer)