"Ohne die Partei bin ich nichts", so lautet ein nicht ganz unreflektiertes Zitat des ehemaligen Vorsitzenden der SPÖ, Fred Sinowatz, der bis heute als Nachfolger Bruno Kreiskys oft unter seinem Wert gehandelt wird. Diese Erkenntnis hätten sich vielleicht manche von den aktuellen Parteigranden ins Stammbuch schreiben sollen. Denn auch wenn sich viele Parteibosse der neuen SPÖ-Generation als Banker wie Franz Vranitzky, Topmanager wie Christian Kern, oder erfolgreiche Wissenschafter wie Pamela Rendi-Wagner sehen, ist die Bedeutung der nach außen hin so hoch gehaltenen Bewegung im Unbewussten anscheinend nicht so stark verankert. Trotz medienwirksamer Bekundung, dass man nie vergessen hätte, woher man käme, kommt diese Botschaft nicht authentisch und glaubwürdig beim Wähler an. Das hat schon seinen Grund.

Partei als Profit

Im Unterschied zu ihrem heute hochgehaltenen Sonnenkönig Kreisky profitierten die Nachfolger von der Aufbauarbeit von eben diesem und seinem Team an Politkapazundern, wie es sie heute nur noch in homöopathischen Dosen gibt. Die Erfahrungen eines Zweiten Weltkrieges, der Konzentrationslager und des Klassenkampfes wurden nicht selbst gemacht, sondern werden nahezu in einer Endlosschleife nacherzählt und als Draufgabe wird dem Bürger noch erzählt, wie man selbst den sozialen Aufstieg Dank der Errungenschaften der Sozialdemokratie geschafft hat. Das kommt nicht gut an und wird beim einfachen Wahlvolk, das vor den Herausforderungen der Neuzeit steht, als Provokation gesehen. Frei nach dem Prinzip: "Seht her, ich habe es geschafft". So macht man sich richtig beliebt. Vor allem dann, wenn der potenzielle Wähler diese Möglichkeiten des sozialen Aufstieges nicht mehr hat. Wasser predigen und Wein trinken. Man darf sich dann nicht wundern, dass die Bürger seit den Konfrontationen Vranitzkys mit Jörg Haider in Scharen zu den Rechtspopulisten überlaufen. Dieser Trend setzt sich zwei Jahrzehnte später ungebremst fort und die Partei droht in Worst-Case-Szenarien sogar unter 20 Prozent zu fallen.

techhouse23

Selbstreflexion der Sozialdemokraten

Schauspielerin Elisabeth Orth, Jahrgang 1936, bringt es in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rendi-Wagner durch praktische Lebenserfahrung und der Weisheit des Alters auf den Punkt: "Fridays for Future seien zu wenig, es müsse Everyday for Future heißen". Dasselbe gilt auch für die gesamte Arbeiterbewegung. Vor den Wahlen große Ankündigen zu machen ist nicht genug. Dies können momentan rechtskonservative Kreise besser. Die Frage, die sich stellt, ist, inwiefern die SPÖ-Spitzenfunktionäre in den letzten Jahrzehnten die propagierten Werte gelebt haben, oder ob einige in der Bewegung, frei nach George Orwells Fabel "Animal Farm", gleicher als gleich sind.

Kollektive Unbewusste der SPÖ: Fallstudie Bruno-Kreisky-Park

Ende Juli kam es zu einem nahezu schicksalshaften Moment. Im Rahmen der Bemühungen, potenzielle Wählerinnen und Wähler zu treffen, stattete Rendi-Wagner dem Bruno-Kreisky-Park im 5. Wiener Gemeindebezirk einen Besuch ab. Verdiente Altfunktionäre verteilten unermüdlich und stets höflich Wasserbälle an Sympathisanten und Besucher des Parks. Die Vorsitzende stellte sich den Fragen der Bürger, die diese vorher auf einem Kärtchen notieren sollten. Die Szenerie hatte etwas Authentisches und passte zum aktuellen Zustand der SPÖ. Der für Wiener Verhältnisse bescheidene und eher schmucklose Park, ein kleines Beisammensein mit Gleichgesinnten und eine Spitzenkandidatin, die sichtlich bemüht mit den Anwesenden interagiert. Als dann ein kurzes Sommergewitter aufzog, mutete es fast so an als wäre der Geist Kreiskys kurz erschienen. Alpha und Omega, Anfang und vorläufiger Endpunkt einer stolzen Bewegung.

Rendi-Wagner: Erreicht die Sozialdemokratie mit ihr das Ende?
Foto: derstandard/www.corn.at Heribert CORN

Der Sinn des Lebens ist das Unvollendete

Niemand der Beteiligten, vom kleinen Funktionär bis zur neuen Chefin, hat an diesem Nachmittag etwas falsch gemacht. Alle gaben in ehrlicher Form ihr Bestes. Doch scheint es so, dass gerade im namensträchtigen Park, dessen Gras durch die Sommerhitze leicht ausgedörrt war, die Kraft und das Charisma der Jahrhundertbewegung zusehends schwand. Wie hielt einst Kreisky vielleicht in weiser Voraussicht treffend fest: "Es gibt kein unentrinnbares Schicksal für die Menschen, sondern Sie selber sind die Träger ihres Schicksals." So gesehen haben seine Erben nun das Heft für die Zukunft der Bewegung selbst in der Hand. Wie sagte der bereits Zitierte? "Der Sinn des Lebens ist das Unvollendete". (Daniel Witzeling, 5.9.2019)

Weitere Beiträge des Bloggers