"Wir treten nicht als Protestpartei an. Wir treten als sachpolitische Lösungspartei an in allen Bereichen", sagte Andreas Kalbitz im Wahlkampf.

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Die Landtagswahlen in den deutschen Bundesländern Brandenburg und Sachsen haben der AfD sensationelle Zuwächse beschert. In Brandenburg gewann die rechtspopulistische und teilweise rechtsextreme Partei über elf Prozentpunkte dazu und landete mit 23,5 Prozent der Wählerstimmen an zweiter Stelle hinter der SPD. Angetreten ist die AfD in Brandenburg mit Andreas Kalbitz, einem Mann mit Neonazi-Vergangenheit, der dem völkisch-nationalistischen Höcke-Flügel zugerechnet wird.

Von einer Reporterin der Deutschen Welle nach seiner Nähe zum Rechtsextremismus gefragt, sage Kalbitz am Wahltag: "Ich habe ganz offen eingeräumt, wenn es solche Dinge gab, dann bin ich auch dazu gestanden." Und "es gab" allerhand Dinge und Tatsachen, zu denen der AfD-Politiker steht: Als Schüler war Kalbitz in der Pennalen Burschenschaft Saxonia-Czernowitz zu München aktiv, einer Burschenschaft, die aufgrund rechtsextremer Tendenzen vom deutschen Verfassungsschutz geprüft wurde. In seiner Jugend nahm er am Sommercamp des rechtsextremen Vereins Die Heimattreue Jugend e. V. teil. Kalbitz war Mitglied des rechtsextremen Witikobundes und nahm im Jahr 2007 an einem Neonaziaufmarsch in Athen teil. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass er bis in die jüngste Vergangenheit Kontakte zur rechtsextremen Szene pflegte.

"Trotz seiner Neonazi-Vergangenheit" habe Kalbitz den Sieg für seine Partei eingefahren, heißt es in zahlreichen Kommentaren. Diese sehr populäre Sichtweise, dass Parteien und Politiker, die keine Probleme mit rechtsextremistischem und faschistischem Gedankengut haben, trotz ihrer Positionen Wahlen gewinnen, sollte langsam hinterfragt werden. Details aus seiner politischen Vergangenheit leugnete Kalbitz nie, einiges davon wurde erst im Wahlkampf bekannt, und darüber wurde in den deutschen Medien ausführlich berichtet. Kaum jemandem, der sich für die Politik, für die Wahl, für die AfD und ihre Positionen interessiert, kann entgangen sein, wofür Kalbitz steht.

Rund 43 Prozent der AfD-Wähler in Brandenburg trafen ihre Wahl wegen der "politischen Forderungen" der Partei. Sie sind also nicht die vielbeschworenen "Protestwähler". Diese sind allerdings unter den AfD-Wählern in Brandenburg tatsächlich in der Mehrzahl: 53 Prozent sagen, ihr Kreuz bei der AfD sei ein "Denkzettel".

Und tatsächlich sollte es uns zu denken geben, dass es neben jenen Bürgern, die ganz offen die extremistischen AfD-Forderungen umgesetzt sehen wollen, auch jene gibt, die glauben, in einer Demokratie sei die Unterstützung von Rechtsextremisten die angemessene Form des Protests. Zumal Andreas Kalbitz in den parteieigenen Medien klare Botschaften verbreitet: "Wir treten nicht als Protestpartei an. Wir treten als sachpolitische Lösungspartei an in allen Bereichen." Der Mann macht also Ernst und hat außerdem im Wahlkampf mit "Wir wollen Brandenburg verändern" unmissverständlich seine Absichten plakatiert.

Die rechtsextremistischen und antidemokratischen Tendenzen und "Einzelfälle" einer AfD in Deutschland oder einer rechtspopulistischen FPÖ in Österreich sind ihren Wählern und Wählerinnen hinreichend bekannt. Die vielen "Einzelfälle", Entgleisungen und Skandale der FPÖ vor und während der türkis-blauen Koalition wurden von den Medien und antifaschistischen Aktivisten minutiös dokumentiert.

Und spätestens seitdem der ehemalige Bundeskanzler Kurz im Zuge der Ibiza-Enthüllung live im ORF offenbarte, was er alles seitens des Koalitionspartner "aushalten musste", weiß die ganze Nation um die braunen Ränder der FPÖ. Jeder Wähler rechtspopulistischer Parteien, der von sich behauptet, lediglich "aus Protest" zu wählen, tut dies mit dem Wissen um die extremistischen Positionen. In Sachsen sagen übrigens ganze 70 Prozent der AfD-Wähler, dass sie die Partei wegen ihrer politischen Forderungen und Position wählen – die sogenannten Protestwähler sind in der Minderheit.

Viele politischen Analysten werden nicht müde zu betonen, dass nicht jeder, der Rechtsextreme und Rechtspopulisten wählt, auch ein Rechtsextremer ist. Aber die sogenannten "Protestwähler" muss die Demokratie genauso ernst nehmen wie die politisch überzeugten. Denn solange jede Stimme gleich zählt und den demokratisch gewählten Antidemokraten zur Macht verhilft, sind die Wahlmotive sekundär.

Der Demokratie verpflichtete Medien, politische Beobachter, Kommentatoren und alle Parteien, die innerhalb der demokratischen Spielregeln um Wählerstimmen werben, können nicht länger bei der "Aufklärung über die Gefahren des Extremismus" haltmachen. Die Botschaft muss sein: Die Demokratie verträgt nicht unbegrenzt viele Antidemokraten. Und deswegen herrscht in in Deutschland, anders als in Österreich, noch Konsens: Mit den Extremisten koaliert man nicht. (Olivera Stajić, 3.9.2019)