Aus einem Armenviertel in Buenos Aires ins Blitzlichtgewitter: der 24-jährige Diego Maradona 1984 bei seiner Präsentation in Neapel.

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Diego Maradona, wie Sportfans ihn verehren. Aber der Held durchlebte manche Probleme.

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Die ärmste Stadt Italiens kauft den teuersten Fußballer der Welt: Mit diesen Worten verkündete ein Nachrichtensprecher im Juli 1984 den Transfer des argentinischen Stars Diego Maradona vom FC Barcelona zum SSC Neapel. Gleich bei der ersten Pressekonferenz kam es zu einem Eklat. Ein Journalist fragte: "Weiß Maradona, was die Camorra ist und welchen Einfluss sie in Neapel hat?"

Natürlich ist das nicht an den Fußballer gerichtet, sondern an die Politiker und Unternehmer der Stadt. In diesem Moment zeigen die verwaschenen Videobilder, die überliefert sind, einen Sportler und Künstler, der alles mitbringt, um dieses große Spiel zu prägen. Aber das ganze Drumherum des Fußballs ist noch ein bisschen größer und gewaltiger, und ein kleiner Junge aus einem Armenviertel in Buenos Aires ist nicht der beste Kandidat, um zwischen diesen Kräften zu bestehen.

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Höhen und Tiefen

In Grundzügen ist wohl zumindest den meisten Fans des Fußballsports bekannt, welche Höhepunkte und Rückschläge in der Karriere von Diego Maradona zu verzeichnen waren: der Weltmeistertitel mit Argentinien 1986, die Meisterschaft mit Neapel im Jahr darauf, das Spiel zwischen Italien und Argentinien bei der WM 1990, bei dem Maradona – ausgerechnet in Neapel – den entscheidenden Elfmeter für Argentinien verwandelte.

Danach die Skandale: Drogensucht, Sex mit Prostituierten, Mafiakontakte, Sperren, Fettsucht. Es gilt als ein Wunder, dass Maradona noch lebt. Als lebende Legende taucht er immer wieder auf und macht dabei nicht immer die allerbeste Figur.

Man könnte dieses Leben als eine Fallstudie über eine grausame Unterhaltungsindustrie erzählen. Aber Asif Kapadia will mit seinem Dokumentarfilm Diego Maradona weder auf Kulturkritik noch auf Moral hinaus. Er sucht nach den Spuren, die der Mensch Maradona in den Archiven einer Mediengesellschaft hinterlassen hat, die scheinbar alles aufzeichnet. Und er findet dabei nicht nur großartiges Material, er findet tatsächlich eine Figur, die man für eine plausible Version des "wahren" Maradona halten kann.

Verfolgt wie Prinzessin Diana

Die Zeit in Neapel steht dabei im Mittelpunkt, auch deswegen, weil es aus diesen Jahren das spannendste Material gibt. Schon die ersten Bilder von einem Autokonvoi, der durch die Stadt zum Stadion San Paolo fährt, deuten an, welchen Stellenwert Maradona hatte: Man könnte an die Paparazzi denken, die hinter Prinzessin Diana her waren, allerdings sind in Neapel anno 1984 die Autos ein wenig alltäglicher. Um nicht zu sagen armseliger.

Asif Kapadia erzählt in der Manier, in der er schon den Formel-1-Piloten Ayrton Senna (Senna) und die Sängerin Amy Winehouse (Amy) porträtiert hat, von einem grellen, verrückten Leben, mit spannendem Bild- und Tonmaterial und genau der richtigen Balance zwischen Sympathie und Distanz.

Er konnte auf über 500 Stunden Material zurückgreifen und beleuchtet auch durchaus intime Details: die jahrzehntelange Verleugnung eines außerehelichen Sohns zum Beispiel. Trauriger Höhepunkt ist wohl ein Tondokument, das von einer Abhöraktion der italienischen Polizei stammt: Diego bestellt Drogen "und zwei Mädchen", und man hört keinerlei Glamour heraus, sondern nur noch Sucht und Einsamkeit.

Schutz vor dem Gewitter

Kapadias Blick auf Diego Maradona ist auch ein Blick auf eine Figur, wie es sie heute nicht mehr geben würde. Denn inzwischen sind Instagram und andere soziale Medien zu Schutzwänden geworden, hinter denen sich die Stars verstecken, indem sie genau steuern, was nach außen dringen darf. Maradona war in dieser Hinsicht noch naiv und unberaten, nur so konnten überhaupt all die Dokumente entstehen, die Kapadia souverän arrangiert hat und die er nicht, wie es die verlogene Regenbogenpresse immer wieder tut, gegen den Helden verwendet. Sondern um ihn inmitten der Bildgewitter zu schützen. (Bert Rebhandl, 3.9.2019)