Die filigranen leiterförmigen Fangnetz der Otway-Krallenspinne sind kleine Kunstwerke und doch beruht ihre Optik ausschließlich auf Zweckmäßigkeit. Unterschiedliche Fädenarten sorgen für optimale Dehnbarkeit und Klebrigkeit.

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Ein gekämmter Kräuselfaden der Otway-Krallenspinne unter dem Mikroskop. Die Vorbehandlung mit einem Borstenkamm macht die Fäden elastischer.

Foto: Peter Michalik

Spinnenseide ist ein hochkomplexes Biomaterial mit erstaunlichen Eigenschaften: Es ist weitaus reißfester als Nylon, viermal so belastbar wie Stahl, äußerst hitzestabil, wasserfest und wirkt auch noch antibakteriell, was man sich in der modernen Medizin zunutze macht. Materialforscher nahmen sich die Spinnenseide zum Vorbild und arbeiten mittlerweile an synthetischen Fasern, die die Eigenschaften der Spinnfäden in einigen Aspekten erreichen oder sogar übertreffen.

Doch noch sind dem extrem dehnbaren Stoff bei weitem nicht alle Geheimnisse entlockt. Ein internationale Forschungsteam um Zoologen von der Universität Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) hat nun die Spinnenfäden der Otway-Krallenspinne (Progradungula otwayensis) genauer unter die Lupe genommen. Die Webspinnenart mit einer Beinspannweite von bis zu sieben Zentimetern kommt ausschließlich im Great Otway National Park in Australien vor.

Die Untersuchungen der Forscher wiesen unter anderem nach, dass die mechanischen Eigenschaften von Fangfäden nicht nur, so wie bisher angenommen, von deren Proteinstruktur abhängt. Tatsächlich bringt eine unterschiedliche Verarbeitungen auch verschiedene Fasertypen hervor, was wiederum die Eigenschaften des Fadens im Fangnetz entscheidend beeinflusst.

Klebrige und leimfreie Fasern

Bei der Produktion der Fangfäden setzen verschiedene Spinnenarten unterschiedliche Techniken ein. Die häufigsten und am besten erforschten Fangfäden sind mit zähflüssigen Leimtröpfchen beschichtet. Die Eigenschaften dieser Fäden werden stark durch die Proteine bestimmt, aus denen sich die Fäden zusammensetzen.

Die australische Krallenspinne nutzt hingegen Kräuselfäden – sogenannte cribellate Fäden – für den Beutefang. Diese sind vor allem typisch für die Fangnetze von ursprünglichen Spinnenarten. Ihre Fangfäden sind leimfrei und viel komplexer im Aufbau als die Leimfäden. Sie bestehen aus ein oder zwei axialen Fasern, die mit der Fangwolle verwoben werden. Die Fangwolle besteht aus tausenden Nanofasern. Darin werden weitere Fasern eingewoben, was für eine erhöhte Elastizität sorgt. Bei der Produktion der Kräuselfäden werden die Nanofasern mit einem Borstenkamm, der sich an den Hinterbeinen der Spinne befindet, aufgekämmt. Die Art der Verarbeitung der Nanofasern bestimmt die mechanischen Eigenschaften des Fadens. Sie ist entscheidend für die Elastizität und Klebkraft der Fangwolle.

Kämmen macht die Fäden elastisch

Die im Fachjournal "Scientific Reports" vorgestellten Ergebnisse zeigen dabei erstmals, dass cribellate Spinnen wie die Otway-Krallenspinne auch ohne den Einsatz eines Borstenkamms Kräuselfäden produzieren kann. Die ungekämmten Kräuselfäden der Krallenspinne haben aufgrund der unterschiedlichen Verarbeitung eine deutlich verringerte Klebkraft und sind nur auf die doppelte Länge dehnbar. Die gekämmten Fäden dieser Spinne sind dagegen extrem elastisch. Sie lassen sich bis auf das 14-fache ihrer ursprünglichen Länge dehnen und sind somit die bisher elastischsten Fäden, die man von Spinnen kennt.

Besonders interessant ist, dass die Krallenspinne die beiden unterschiedlich produzierten Fäden auch für verschiedene Zwecke nutzt. Die ungekämmten Kräuselfäden werden nicht zum Beutefang, sondern als Rahmenfäden im Netz verwendet. An diesen Rahmenfäden werden dann die Fangfäden angeheftet. Die ungekämmten Fäden der Krallenspinne sind jedoch deutlich elastischer als normale Rahmenfäden in Spinnennetzen, was die Gesamtelastizität des Fangnetzes erhöht. (red, 3.9.2019)