Cowboyhüte und -stiefel sind im texanischen Austin keine Verkleidung, sondern Alltags- oder Arbeitskleidung.

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Austin wirkt für Besucher immer noch wie ein Dorf mit Wolkenkratzern.

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Weniger als einen Tagesritt von den Wolkenkratzern Austins entfernt findet man noch Barbecue nach Westernmanier. Bandera gilt als texanische "Hauptstadt der Cowboys".

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Der Lady Bird Lake ist ein Naherholungsgebiet mitten in der Stadt. Ganz Austin ist an diesem sonnigen Tag auf den Beinen, um zu joggen oder den Hund auszuführen.

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Die Lebensqualität ist hoch, die Universitätsstadt Austin ist jung und hat eine lebendige Ausgeh- und Musikszene.

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"Was ihr vielleicht noch nicht wisst: Austin ist die Hauptstadt der Allergien", scherzt Donna Lou und zeigt auf die blühenden Bäume ringsum. Die quirlige ältere Dame bietet Elektrobiketouren durch die texanische Hauptstadt an – und ist selbst so etwas wie ein Ausstellungsstück. Sie steht für das alte Austin, als es noch kein Eldorado für Techkonzerne wie Dell, Google, Apple und Amazon war, die den 950.000 Einwohner zählenden Ort gerade in eine Art Silicon Valley verwandeln.

150 Menschen ziehen pro Tag nach Austin, eine imposante Skyline ist in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft worden. Die Einheimischen erzählen gern, wie gemütlich es früher war, und jammern über das Verkehrschaos. Dabei wirkt Austin für Urlauber nach wie vor wie ein Dorf mit Wolkenkratzern. Man wird sogar gegrüßt, wenn man im Park spazieren geht.

Unmut in der Hippie-Gemeinde

Hier im Osten der Stadt, wo Donna Lou lebt, stehen sie noch, die kleinen bunten Holzhäuschen mit Garten, die wie eine Schrebergartensiedlung aussehen. Man kennt einander, grillt am Wochenende gemeinsam – Donna spricht von der alten Hippie-Crowd, zu der sie gehört. Hollywoodstars wie Sandra Bullock oder Elijah Wood haben hier Wohnsitze. Was Donna aufregt, sind aber Nachbarn wie Warren, der eine protzige Villa, vollgestopft mit Trophäen von seinen Großwildjagden, besitzt. "Er öffnet sein Haus manchmal als Museum und zahlt deshalb keine Steuern", sagt Donna wütend. "In unserer Hippie-Community kommt das nicht gut an."

Donna brettert voraus, die kleine Touristengruppe folgt ihr. Wir machen vor der Downtown-Silhouette einen Fotostopp, biegen dann scharf links ab, um plötzlich in einem Naturparadies zu landen. Der Lady Bird Lake ist ein Naherholungsgebiet mitten in der Stadt. Ganz Austin ist an diesem sonnigen Tag auf den Beinen, um zu joggen oder den Hund auszuführen. Die üppige, wilde Uferlandschaft erinnert an die Donauarme, Schildkröten tummeln sich im Wasser. Nur baden darf man hier nicht. Dafür gibt es den Barton Springs Pool, der von einer recht kühlen Quelle gespeist wird. Der Schauspieler Robert Redford soll hier schwimmen gelernt haben. Vor acht Uhr morgens ist der Eintritt frei, vor allem im heißen Sommer kommen die Einheimischen, ziehen ihre Runden – und freuen sich über ihre grüne Oase.

Schlangen vor dem Food-Truck

Die Firmen ziehen nicht nur wegen der Steuervorteile hierher. Die Lebensqualität ist hoch, die Universitätsstadt Austin ist jung und hat eine lebendige Ausgeh- und Musikszene. Man lebt in einer Metropole – trotzdem ist alles entspannt. Nur Donna macht Tempo, sie möchte mit uns noch einen Margherita trinken, schließlich ist Wochenende. Vor ihrer Lieblingsbar hat sich eine Schlange gebildet, man plaudert, genießt die Sonne. Die Leute stellen sich gern und geduldig an in Austin, wahrscheinlich um Großstadtfeeling zu simulieren. Das zeigt sich auch am nächsten Morgen: Es ist 11.17 Uhr, und mindestens 30 Leute warten bereits auf ihre Steaks vor Micklethwait Craft Meats, einem von 2.000 Food-Trucks, die über die ganze Stadt verteilt sind. Das Publikum ist hip, die Stimmung bestens. Bier wird heute gratis ausgeschenkt.

Grillgut wird in Texas ohne Schnickschnack konsumiert: Wenn man eine Sauce braucht, ist es nicht richtig zubereitet, lautet das Credo. Etwa bei Franklin Barbecue, einer der berühmtesten Grillbuden der Stadt, vor der die Leute Klappstühle aufstellen, so lang sind die Schlangen. "Nobody can cut the line", keiner darf sich vordrängen – darauf besteht der Besitzer. Rapper Kanye West wurde 2016 rausgeworfen, weil er glaubte, für ihn würde eine Ausnahme gemacht werden. Er rächte sich auf Twitter mit einer schlechten Kritik, was nach hinten losging. Der Besitzer schoss zurück, dass sich auch ein "Mr. Kim Kardashian" an seine Regeln halten müsse. Nicht nur beim Essen können die Texaner sympathisch stur sein.

Coole Musikmetropole

Austin ist berühmt für seine eineinhalb Millionen Fledermäuse, die unter einer der größten Brücken der Stadt wohnen. Zur Dämmerung schwirren sie los, stets wartet eine Menschenmenge, um das Spektakel zu beobachten. Diesen Abend verschlafen die Tiere zwar, aber der Sonnenuntergang auf der Terrasse des Line-Hotels ist auch ohne Fledermäuse beeindruckend. Danach geht es in den Stubb's Club, Austin nennt sich schließlich "Live Music Capital of the World".

Es spielt eine traditionelle mexikanische Band, im Publikum sind vor allem ältere Pärchen, die gemächlich über die Tanzfläche schlurfen, aufgeputzt in traditionellen Gewändern. Es fühlt sich an, als wäre man nach Mexiko gebeamt worden. Nebenan im Mohawk tritt Bidi Bidi Banda auf, die Coverversionen der amerikanischen Tejano-Sängerin Selena Quintanilla-Pérez singt, die in den 1990ern so etwas wie die Latinoversion von Madonna war. Seinem Ruf als coole Musikmetropole wird Austin an diesem Abend mehr als gerecht. Aber wie fühlt sich Texas auf dem Land an?

Cowboyhauptstadt

Bandera ist zwei Autostunden von Austin entfernt. Das verschlafene 800-Einwohner-Kaff sieht wie das Filmset einer Westernstadt aus. Im 19. Jahrhundert starteten von hier aus die Viehtriebe auf dem Great Western Cattle Trail. Deswegen nennt sich das Dorf heute "Hauptstadt der Cowboys". Für Touristen gibt es erstaunlich lustige Cowboyshows, man kann mit einer Pferdekutsche durch die Gegend fahren, und das kleine Museum ist eine bizarre Wunderkammer, vollgestopft mit präparierten Wildtieren und einer Ziege mit zwei Köpfen, alten Pferdesatteln, Gesteinsproben und Fotos von Westernpionieren. So touristisch das alles klingt, so normal fühlt es sich an. Wahrscheinlich auch, weil die Einheimischen recht gelassen mit dem Rummel umgehen. Im Ost Dine, wo sich alle mittags treffen, behält man den Cowboyhut auch beim Essen auf. Das frittierte Huhn ist ein Klassiker, die Portionen sind riesig.

Die Mayan Ranch liegt in der Nähe und ist ein uriges Hotel, das Urlaub auf dem Bauernhof auf Texanisch anbietet: Reiten für Kinder, einem echten Langhornrind begegnen, ein Cowboyfrühstück mit Bohnen und Speck in der Natur einnehmen, während ein Sänger mit Gitarre traurige Liebeslieder zum Besten gibt. "Es geht nicht darum, ein Programm abzuspulen. Wir wollen, dass die Besucher Erfahrungen machen", sagt Patricia Moore vom lokalen Tourismusamt, eine resolute ältere Dame, die ihren Job liebt – und in jeder TV-Serie als Sheriff durchgehen würde.

Herzerweichend schön

Auf die Frage, was Texas von anderen Bundesstaaten unterscheide, erklärt Moores Assistent James: "Wir schauen den Menschen noch in die Augen, wenn wir mit ihnen reden." Dann erzählt er, wie er in New York in einem Lokal immer "Thank you, ma'am" gesagt hat – bis sich die Kellnerin beschwerte. So alt sei sie nun auch wieder nicht, dass er so förmlich mit ihr umgehen müsse.

Wenn Texaner sich als Hinterwäldler präsentieren, ist meist ein Augenzwinkern dabei. Irgendwie sind sie sogar stolz darauf, aus der Reihe zu tanzen. Tatsächlich tragen die meisten auch Cowboyboots. In der Hotelbar der Mayan Ranch, die wie ein Saloon anmutet, steht an diesem Abend ein älterer Herr mit weit aufgeknöpftem Westernhemd samt Goldkettchen, Cowboyhut, verspiegelter Sonnenbrille und spielt Countryklassiker. Zwischen den Songs erzählt er von seinem musikalischen Helden George Strait, dessen 1980er-Hit "You Look so Good In Love" er vorträgt. Es ist herzerweichend schön. In jeder Bar findet man solche Originale – auch ohne Touristen wird in Texas gesungen.

Gigantisch

Am nächsten Morgen gibt es eine Hurrikanwarnung. Es regnet in Strömen. Nicht einmal in den Tropen schüttet es dermaßen heftig. Jetzt versteht man auch den Werbespruch "Things are bigger in Texas". Sogar die Gewitter sind gigantisch, die Blitze sausen quer über den Himmel. Den Busfahrer kümmern die Sturzbäche auf den Straßen wenig, er freut sich, dass endlich was los ist. Der Slogan "Keep Austin weird" stimmt: Die Leute hier sind ziemlich schräg und wollen es bleiben. Es gibt viele Unikate. Die wahren Abenteuer in Texas sind die Menschen. (Karin Cerny, RONDO, 6.9.2019)