Mindestens zwei Tage wird der Prozess um einen Mordanschlag, den das Opfer nur mit Glück überlebt hat, dauern.

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Wien – Um 3 Uhr nachts entdeckten Polizisten am 20. November 2018 Ömer T. mit einer lebensgefährlichen Kopfverletzung auf dem Gehsteig vor seiner Wohnung. Ein oder mehrere Unbekannte hatten ihm den Schädel zertrümmert, für die Ärzte ist es ein Wunder, dass er den Angriff überlebt hat. Wer die Tat ausgeführt hat, weiß Staatsanwältin Kerstin Wagner-Haase nicht, sie ist aber überzeugt, die Auftraggeber ausfindig gemacht und vor das Geschworenengericht unter Vorsitz von Ulrich Nachtlberger gebracht zu haben: den Ex-Schwiegervater des Opfers und zwei seiner Geschäftspartner.

"Die Anklageschrift liest sich wie ein Kriminalroman. Es geht um die Ehre eines türkischen Familienvaters und einen Auftragsmord, um diese Ehre wiederherzustellen", wendet sich Wagner-Haase an die Geschworenen. In einem Punkt hat sie nicht unrecht: Die Geschichte ist spannend, aber auch so unübersichtlich wie ein durchschnittlicher Agatha-Christie-Plot. Um dieser Unübersichtlichkeit entgegenzuwirken, hat die Staatsanwältin sogar die Familienkonstellationen der Beteiligten ausgedruckt und zeichnet sie zusätzlich auf einer Flipchart auf.

DNA-Test entlarvte Affäre

Der Erstangeklagte Metin A. soll demnach der Kopf der Angelegenheit sein. Der 54-jährige Österreicher hat drei Kinder, alle drei sind blind. A.s Tochter war mit Anschlagsopfer Ömer T. verheiratet; sein Sohn mit einer Frau, die irgendwann schwanger wurde. Wie sich im Jahr 2016 nach einem DNA-Test herausstellte, von Ömer T. – A.s Schwiegerkinder waren also eine Beziehung eingegangen.

Für die Staatsanwältin ist klar, dass der unbescholtene Unternehmer, der ein 800.000-Euro-Zinshaus in Wien besitzt und mit seinen drei Firmen laut eigenen Angaben im Jahr 100.000 Euro Steuern zahlt, damit einen Grund für tödlichen Hass auf T. hat. Noch dazu, da die Polizei bei den Erhebungen nach der Attacke 2018 vom Umfeld T.s erfuhr, dass dieser Angst vor seinem Ex-Schwiegervater hatte und sogar ständig ein Messer bei sich führte.

Tatsächlich verliefen die Erhebungen aber zunächst im Sande – die Beamten fanden kein Indiz, dass A. etwas mit dem versuchten Mord an seinem Ex-Verwandten zu tun hatte. Bis drei Wochen später ein Serbe in Wien auf der Straße einen "Parksheriff" ansprach und sagte, er habe den Auftrag bekommen, einen Mann in Wien zu töten und das das gern melden würde.

Brisante Daten auf Rechnung

Das Parkraumüberwachungsorgan verwies ihn an die Polizei, die nicht schlecht staunte, als der Serbe einen Zettel aus der Tasche zog, auf dem Name und Adresse von Ömer T. standen. Noch interessanter erschien, dass der Zettel eine Rechnung war, die an eine Firma von Metin A. adressiert war.

Der Serbe erzählte nun folgende Geschichte: Eine Bekannte aus Serbien namens Aleksandra habe ihn im April oder Mai 2018 kontaktiert und geklagt, dass ein Freund von ihr in Wien ein Problem habe. Der Freund, den Aleksandra "Mladen" nannte, sei in Wien von einem türkischen Geschäftspartner beauftragt worden, dessen Ex-Schwiegersohn zu töten. Der Serbe sollte diesen Auftrag nun für 15.000 Euro ausführen. Der Serbe stimmte zu und traf sich mit "Mladen" angeblich in Novi Sad, wo dieser ihm den Zettel mit dem Namen und der Anschrift gab.

Der angebliche eigentliche Plan des Serben: Er wollte die Anzahlung von 1.500 Euro kassieren und dann untätig bleiben. Aleksandra erhöhte den Druck auf ihn aber immer mehr und forderte ihn zum Handeln auf – er stellte sich. Und konnte den Ermittlern auch noch erzählen, dass "Mladen" von seiner pflegebedürftigen Mutter in Bosnien gesprochen habe, die er nach Wien holen wolle.

Zeuge identifiziert Zweitangeklagten

Metin A. wurde aufgrund der Indizen festgenommen, sein Sohn rief daraufhin den Zweitangeklagten Maik T., einen Kroaten, an. Der wiederum stand in Geschäftsverbindungen mit dem Erstangeklagten. Die Ermittler luden Maik T. zur Einvernahme, die er an einem bestimmten Zeitpunkt unterbrechen wollte. Denn: Er habe eine pflegebedürftige Mutter in Bosnien, um die er sich kümmern müsse. Der Kroate wurde daraufhin dem Serben gegenübergestellt – dieser identifizierte ihn als "Mladen". Und, wie sich herausstellte, war Aleksandra T.s Partnerin.

Wie kommt nun der Drittangeklagte Onur B. auf die Anklagebank? Auch das fußt auf einem Überraschungszeugen, wie die Staatsanwältin schildert. Ein Mithäftling des Erstangeklagten soll sich in der Zelle mit Metin A. angefreundet haben und sagte später bei der Polizei aus.

In der Zelle habe sich herausgestellt, dass A. und der Informant im Drittangeklagten einen gemeinsamen Bekannten hatten. Ein Vertrauensverhältnis baute sich auf, schließlich habe A. dem Informanten erklärt, er sei völlig unschuldig. Er habe lediglich den Drittangeklagten gebeten, den Ex-Schwiegersohn umzubringen. Der Drittangeklagte wiederum habe sich deshalb an Maik T. , seinen Geschäftspartner, gewandt. Als Lohn sei dem Drittangeklagten ein Grundstücksteil versprochen worden, der tatsächlich von A. auf ihn übertragen wurde.

Staatsanwältin sieht Auftragskette für Mordversuch

So weit die Geschichte der Staatsanwältin, die überzeugt ist, dass sich die einzelnen Indizien zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen und die Auftragskette für den Mordversuch beweisen.

"Beeindruckend", stimmt ihr Peter Philipp, Verteidiger von Metin A., in seinem Eröffnungsplädoyer zunächst zu. Um sogleich einzuschränken: "Die Kette ist unterbrochen." Denn: Es handle sich lediglich um Vermutungen. Um das zu untermauern, zitiert er aus der Anklageschrift, in der seinem Mandanten vorgeworfen wird, "zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt unbekannte Täter" mit dem Mordversuch beauftragt zu haben.

Wichtige Zeugin nicht auffindbar

Alexander Philipp, Verteidiger von Maik T., weißt wiederum darauf hin, dass "Aleksandra" unauffindbar sei und es sich möglicherweise um ein Komplott von ihr und dem Serben handle, um seinen Mandanten anzuschwärzen. Sein stärkstes Argument: Auf der Rechnung, die T. dem vermeintlichen Killer übergeben haben soll, finden sich weder seine Fingerabdrücke noch seine DNA. Philipp Wolm, Verteidiger des Drittangeklagten, glaubt ebenso an ein Komplott, um Geld zu erpressen.

Die Laienrichter müssen sich also entscheiden, ob es sich um berechnende Hintermänner handelt, die sich selbst die Finger nicht schmutzig machen wollten. Oder um eine Verschwörung, bei der Trittbrettfahrer von dem Angriff auf Ömer T. profitieren wollen.

Am ersten Verhandlungstag kommt nur der Erstangeklagte zu Wort, der jegliche Beteiligung abstreitet. Zunächst beteuert er auch noch, kein Motiv zu haben. Denn: Dass sein Enkelkind Produkt von Seitensprüngen der untreuen Schwiegerkinder sei, habe er bereits seit August 2016 gewusst. Er habe nur erreichen wollen, dass sein Ex-Schwiegersohn Alimente zahle, das könne er als Toter kaum.

Ehre kein Mordmotiv

"Für uns war das überhaupt kein Problem. Sie sind beide gegangen", versucht er auch zu erklären, dass verletztes Ehrgefühl für ihn sicher kein Motiv sein könnte für einen Mordanschlag.

Im Laufe seiner Einvernahme wird er aber zusehends agitiert, und das Bild, das er zu vermitteln versucht, bekommt deutliche Risse. Der Frage, ob er die Ehe aller drei Kinder arrangiert habe, weicht A. mehrmals aus.

Dafür benennt er bei anderer Gelegenheit, wer seiner Meinung nach für die familieninternen Verwicklungen die Verantwortung trägt: "Wenn jemand schuld ist, dann ohnehin meine Schwiegertochter." Was Beisitzerin Eva Brandstetter zu der Frage veranlasst, warum das so sei. Die überraschende Antwort: "Wenn eine Frau einen Mann nicht lockt und sagt 'Komm!', dann macht er das nicht", lässt A., der 1990 aus der Türkei nach Österreich gekommen und seit 2000 Staatsbürger ist, übersetzen.

Ex-Schwiegertochter ging ins Frauenhaus

Unangenehm ist ihm auch eine Frage der Staatsanwältin: "Sie haben gesagt, Ihre Schwiegertochter ist einfach gegangen. Ohne Probleme. Wohin ist sie denn gegangen?" – "Ins Frauenhaus." – "Und wie, glauben Sie, kommt man ins Frauenhaus? Reicht es da einfach zu sagen, dass man keine Wohnung hat?" – "Mein Ex-Schwiegersohn hat ihr das eingeredet."

Was A. besonders wurmt: "Zuvor war ich als ehrenhafter Vater von drei blinden Kindern bekannt, jetzt als der, dessen Schwiegersohn und -tochter ein gemeinsames Kind haben." Aber er sei froh, dass er jetzt wieder "sauber" sei – da die Schwiegerkinder nicht mehr in seinem Haus wohnen, beeilt er sich zu versichern.

Am Mittwoch wird fortgesetzt, für die Anstiftung zum Mordversuch drohen dem Trio zwischen zehn und 20 Jahre oder lebenslange Haft. (Michael Möseneder, 3.9.2019)