Nett. Eine nette Plauderei unter zwei jüngeren Herren, garniert mit leicht jenseitigen Fragen an einen ehemaligen und wahrscheinlich künftigen Bundeskanzler: "Was trinken Sie bei Sonnenuntergang?". Das war das "Sommergespräch" mit Sebastian Kurz im ORF. Kurz konnte sich wieder als Opfer darstellen (die Vorwürfe gegen die ÖVP wegen fragwürdiger Parteifinanzierung seien "System"; es drohe eine rot-grüne-pinke Anti-Kurz-Mehrheit).

Was auch diesmal unklar blieb: Welche substanzielle Politik will Kurz mit welchem Partner eigentlich machen? Oder, fokussierter gefragt: Was ist die Substanz von Kurz?

Das Klimathema beherrschte über weite Strecken die Stunde im ORF. Wenn man sich auch nur oberflächlich mit dem Thema beschäftigt, dann müssen hier und jetzt einschneidende Maßnahmen global gesetzt werden, um zu verhindern, dass es äußerst ungemütlich auf der Erde wird (sehr aufschlussreich dazu eine Serie in der "Zeit": "Was kostet die Rettung der Welt?"). Man hatte im ORF nicht den Eindruck, dass Kurz da ein besonderes Problembewusstsein entwickelt hat: Jaja, die Erderwärmung, aber er als Politiker muss auch auf die Pendler achten, und so weiter.

Sebastian Kurz beim ORF-"Sommergespräch".
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Die SPÖ ist übrigens genauso traditionell-einfallslos beim Thema "Pendler" und Eindämmung der Motorisierung. In dem Sinn werden die Türkisen und die Roten wohl keine so großen Probleme haben, eine gemeinsame Basis für eine Koalition zu finden. Sonst wird es aber eher schwierig werden. Abgesehen von den persönlichen Animositäten klaffen riesige Gräben zwischen den beiden Parteien.

Drei große Brocken

Allein der Sozialversicherungssektor: Kurz hat die Arbeitnehmervertreter großflächig aus dem Sozialversicherungssystem hinausgeschmissen und durch Arbeitgeber ersetzt. Seine sozialpolitischen Maßnahmen laufen darauf hinaus, dass die Arbeitgeberbeiträge sinken sollen (konkret bei der Unfallversicherung).

In verschiedenen Zirkeln wird derzeit versucht, die SPÖ als Juniorpartner für eine solche Koalition weichzuklopfen: Der ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian wird Sozialminister, Parteigeschäftsführer Thomas Drozda Kulturminister und Pamela Rendi-Wagner Über-Gesundheitsministerin. Schön, aber was ist das konkrete Programm einer türkis-roten Koalition?

In Österreich gibt es drei große Brocken, die im Sinne des Landeswohls mittel- bis längerfristig anzugehen sind: Erstens, die Folgen der Migration, die vor Jahrzehnten begonnen hat, sind nicht bewältigt. Es bedarf eines Masterplans, um zu verhindern, dass Hunderttausende ein rückständiges, entfremdetes Subproletariat bilden. Zweitens geht es um eine echte Modernisierung des Wirtschafts- und Sozialsystems, um künftigen Krisen gewachsen zu sein. Und drittens muss eine aktive Politik gegen die Zunahme von autoritären, antidemokratischen Mentalitäten besonders unter den Jungen gefunden werden.

Mit einer FPÖ ist das alles nicht möglich, das sollte Kurz inzwischen wissen. Für die anderen denkbaren Konstellationen, Türkis-Grün, Türkis-Grün-Pink oder eben Türkis-Rot, hat er bisher nicht ausreichend darlegen können, wie das funktionieren soll und was man dann eigentlich machen will. (Hans Rauscher, 3.9.2019)