1919 wurde Rosa Luxemburg, Gründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands, von einer rechten paramilitärischen Gruppe zuerst gequält, dann ermordet. Ein historisches Ereignis, das Beltracchi 2017 in der Handschrift von Max Beckmann verewigte.

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Wolfgang Beltracchi als Lückenfüller der Kunstgeschichte: 2017 schuf er im Rahmen des "Kairos"-Projektes jenes Selbstbildnis, das Gustav Klimt nie von sich malte.

Foto: Zott Artspace

Im Kunstforum gastieren ab sofort Werke von Wolfgang Beltracchi. Noch vor zehn Jahren hätte eine Ausstellung mit seinen Bildern wenig bis gar keine Aufmerksamkeit generiert. Niemand hätte sich für seine Lebensgeschichte oder seine Meinung zu Hinz und Kunz der Kunstszene interessiert. Seit der Sohn eines Kirchenmalers im Herbst 2010 als Fälscher aufflog, ist das freilich anders. Fast vier Jahrzehnte war er unentdeckt geblieben und hatte die Kunstwelt um Millionen betrogen: nicht mit plumpen Kopien, sondern mit Werken im Stil namhafter Meister, die seine Ehefrau Helene in den Markt einschleuste. Davon bestritt das Pärchen seinen Lebensunterhalt, eine Villa in Südfrankreich inklusive. Das Vermögen, sagen sie, hätten andere verdient.

Sei es, wie es sei. Die beiden landeten 2011 vor Gericht. Verhandelt wurden jedoch nur 14 von 55 Gemälden, die damals schon als Fälschungen entlarvt waren. So sah es der Deal vor, den der Richter mit den Anwälten eingegangen war. Das gesamte Ausmaß des Betruges wurde nie ermittelt. Bis heute hängen Fakes unerkannt in Museen und Privatsammlungen. Etwa 300 sollen es laut Beltracchi gewesen sein. Das Ehepaar schwieg eisern, verbüßte seine Haftstrafe teils im offenen Vollzug und tingelte ab 2014, hofiert als Bonny und Clyde des Kunstmarktes, durch Talkshows. Kritische Fragen blieben aus, stattdessen rollte man der Selbstgefälligkeit des talentierten Herrn Beltracchi auch noch den roten Teppich aus.

"Meisterfälscher" und Quotenstar

Während er in der Museumswelt als Persona non grata gilt, beschert er Fernsehanstalten satte Quoten. Das SRF inszenierte etwa eine 15-teilige Dokumentation, für die man Prominente vor die Staffelei bat. Darunter Christoph Waltz (à la Beckmann) oder Daniel Kehlmann (à la De Chirico). Eine Fortsetzung ist geplant. Er sei ein "Meisterfälscher", stellte Beltracchi mehrfach klar, beherrsche er doch mehr als 100 "Handschriften" namhafter Künstler unterschiedlicher Epochen.

Womit wir bei jenen rund 30 Bildern sind, die nun um die Gunst des Wiener Publikums heischen: Leinwände mit Motiven, die ein Vincent van Gogh, ein William Turner oder ein Max Beckmann hätte malen können. Das fiktive Selbstporträt Gustav Klimts nicht zu vergessen. Hätte der je "ein Selbstbildnis gemalt, es wäre der letzte Schritt in seiner Hinwendung zum Modernismus gewesen", ist Rainer Metzger überzeugt. Wie der Kunsthistoriker und Professor der Kunstakademie in Karlsruhe ins Spiel kommt? Er fungiert als wissenschaftlicher Beirat für das vom deutschen Geschäftsmann Christian Zott initiierte Projekt Kairos. Der richtige Moment.

Leerstellen mit Farbe gefüllt

Dabei geht es um "Leerstellen in über 2000 Jahren europäischer Kunstgeschichte", die sichtbar gemacht werden sollen. Dazu gehört auch eine Fotoserie von Museumsdepots des Italieners Mauro Fiorese, die seit Herbst 2018 Seite an Seite mit "Beltracchis" auf Ausstellungstour sind. Nach Stationen in der Nationalbibliothek Venedigs und der Barlach-Halle in Hamburg hält man bei 32.000 Besuchern. Jetzt hat man sich ins Kunstforum eingemietet: für 2500 Euro pro Tag bzw. rund 55.000 Euro insgesamt.

Wie viel Wolfgang Beltracchi für seine Gemälde verlangt? Die Kairos-Gruppe sei nicht verkäuflich, für die anderen in einem Nebenraum je so um die 280.000 Euro. Porträts kosten je nach Format bis zu 200.000 Euro. Davon male er jährlich nur vier, zusammen mit anderen Motiven käme er auf höchstens 20 Bilder. Inzwischen habe er an die 100 Sammler weltweit und könne die Nachfrage kaum bedienen, erzählt er nicht ohne Stolz. Den Kunstmarkt und seine Strukturen, also jenes System, dessen Schwachstellen er als Fälscher auszunützen verstand, brauche er als Künstler jetzt nicht mehr. (Olga Kronsteiner, 4.9.2019)