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Marcel Hirscher wurde sieben Tage vor Ingemar Stenmarks Rücktritt geboren.

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Ingemar Stenmark trat sieben Tage nach Marcel Hirschers Geburt zurück.

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Hermann Maier war gerade ein Jahr alt, als Ingemar Stenmark im Weltcup debütierte.

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Ingemar Stenmark hat viele Talente, seherische Fähigkeiten sind dem bescheidenen Mann aus Tärnaby vermutlich nicht gegeben. Ende Jänner des Vorjahres prophezeite er, dass Marcel Hirscher seinen Weltcuprekord brechen, also auf mehr als 86 Rennsiege kommen werde. Stenmarks Aussage war jedenfalls gewagter als die allgemein schon als Gewissheit verkaufte Annahme, dass Hirscher heute Abend in Salzburg seinen Rücktritt vom Skisport verkündet – nach 67 Weltcupsiegen.

Stenmark ist am 9. März 1989, sieben Tage nachdem Marcel Hirscher in Hallein zur Welt gekommen war, zurückgetreten – ein direkter Zusammenhang ist eher auszuschließen. Der Schwede war 33 und hatte rund 15 Jahre zuvor erstmals ein Weltcuprennen geschmückt.

Hirscher war bei seinem ersten Weltcupeinsatz nur um drei Monate älter, als es Stenmark gewesen ist. Der Skandinavier stand schon vier Monate nach seinem Debüt zum ersten Mal auf dem Podest, insgesamt fuhr Stenmark 155-mal unter die besten Drei. Hirscher schaffte den ersten seiner bis dato 140 Podestplätze rund ein Jahr nach seinem Debüt, nach fast einer vollen Saison.

Reizvolle Spekulation

Zu spekulieren, wie viele Weltcupsiege Hirscher insgesamt feiern könnte, wenn er sich die Mühsal ebenfalls bis zum 33. Geburtstag antäte, ist freilich reizvoll. Für den Rekord müsste er drei ähnlich starke Saisonen wie die verwichene (neun Siege) anhängen. Und er könnte den großen Ingemar auch punkto Goldmedaillen abhängen. Doppelolympiasieger sind sie beide, Hirscher hat mit sieben zwei Weltmeistertitel mehr, jene mit der Mannschaft weggerechnet, ergibt sich ebenfalls ein Gleichstand.

Bleiben natürlich Hirschers bisher acht Weltcupgesamtsiege en suite. Stenmark hat nur drei, aber wie in Technik- und Materialfragen müssen hier Äpfel mit Birnen verglichen werden – im günstigsten Fall. Denn zu Stenmarks großen Zeiten gab es Streichresultate. In der Saison 1978/79 genügten ihm zum Beispiel nicht einmal 13 Rennsiege, davon zehn im Riesentorlauf, zum Gewinn der großen Kugel.

Ingemar Stenmark fährt bei der Ski-WM 1978 in Garmisch zu Gold.
Юрій Сірко

Die fiel dem Schweizer Peter Lüscher zu, der dreimal gewann. Stenmark wurde in der Endabrechnung Fünfter, weil nur die drei besten Resultate jeder Disziplin in die Wertung eingingen. Allein im Riesentorlauf wurden dem überragenden Techniker also bei 25 Zählern pro Sieg 175 Punkte gestrichen.

Der Mann hat sich nie groß beklagt über seinen Mangel an großem Kristall. Und auf die ketzerische Frage, wer denn nun im direkten Duell obsiegen würde, er oder Hirscher, sagte Stenmark anlässlich der jüngsten WM in Åre, dass er gegen Hirscher "keine Chance" gehabt hätte.

Maiers Irritation

So viel Demut ist nicht allen Unvergleichlichen gegeben. Hermann Maier, Sieger von 54 Weltcuprennen und Hirschers schauspielerisch noch versierterer Partner beim Anpreisen von Geldanlagen, sorgte mit seinem offenen Gratulationsbrief zu dessen 54. Weltcupsieg für Irritation, weil er an seinen Motorradunfall erinnerte, der ihn im rekordverdächtigen Siegeslauf gebremst hätte.

Wie Hirscher und der Italiener Alberto Tomba, mit 50 Weltcupsiegen die Nummer vier, zählt auch Maier nicht zur illustren Runde jener fünf Läufer, die in allen Weltcupdisziplinen zumindest einmal siegen konnten. Maier fehlt der Slalom, Hirscher neben der Kombi auch die Spezialabfahrt. Im Gegensatz zu Stenmark hat er sich dieses Abenteuer nie gegeben.

Der Schwede wagte sich 1981 für Kombipunkte in eine reguläre Abfahrt über die Streif und blieb ungewohnt unelegant mehr als zehn Sekunden hinter dem kanadischen Sieger Steve Podborski.

Sieger in allen Disziplinen

Der kompletteste unter den Unvergleichlichen wäre demnach der Norweger Kjetil Andre Aamodt, der alles zumindest einmal gewonnen hat – Rennen in allen Disziplinen, Gesamtweltcup, WM- und Olympiagold.

Tritt Hirscher zurück, hat sich das Thema Rekorde im alpinen Skisport vorerst erledigt – bei den Männern. Denn Mikaela Shiffrin ist mit 24 Jahren Doppelolympiasiegerin, fünfmalige Weltmeisterin und dreimalige Weltcupgesamtsiegerin. 26 Einzelsiege fehlen ihr auf Stenmark, 17 Rennen hat sie allein in der vergangenen Saison gewonnen. Mit dem Tipp, dass die US-Amerikanerin seinen Rekord bricht, wäre er auf der sicheren Seite. (Sigi Lützow, 4.9.2019)