Vor dem Sitz des Premierministers in London wurde auch am Dienstag demonstriert.

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London – Letztlich waren es 21 abtrünnige Konservative, die trotz Drohungen ihres Parteichefs und Premierministers mit Rausschmiss gegen die Parteilinie stimmten. Am späten Abend schaffte es eine parteiübergreifende Allianz im britischen Parlament mit einer Mehrheit von 328 zu 301 Stimmen, die sonst bei der Regierung liegende Hoheit über die Tagesordnung an sich zu bringen. Ihr Ziel: den von Johnson als letzten Ausweg propagierten No Deal illegal zu machen.

Roland Adrowitzer (ORF) berichtet, wie wahrscheinlich vorgezogene Neuwahlen in Großbritannien sind.
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Wenn beim EU-Gipfel Mitte Oktober keine neue Vereinbarung getroffen werde, müsse der Premierminister in Brüssel um weiteren Brexit-Aufschub bis Ende Jänner bitten. Bereits am Mittwoch will das Parlament versuchen, ein entsprechendes Gesetz dazu zu verabschieden. Johnson findet sich nun in einer ähnlichen Lage wieder wie seine Vorgängerin Theresa May, die es dreimal nicht geschafft hat, die parlamentarische Unterstützung für ihren Brexit-Kurs zu bekommen.

Schlussendlich rissen die Parlamentarier mit einem Abstimmungsergebnis von 328 zu 301 die Tagesordnung an sich.
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Um eine Verschiebung werde er "unter keinen Umständen" bitten, betonte Johnson und denunzierte das geplante Gesetz der Anti-Chaos-Allianz als "Jeremy Corbyns Kapitulationsgesetz: Er hisst die weiße Fahne".

Neuwahlantrag am Mittwoch

Nach der Abstimmungsniederlage kündigte Johnson dann auch prompt eine Initiative für eine vorgezogene Neuwahl an. Oppositionsführer Jeremy Corbyn will jedenfalls zuerst das Gesetz verabschiedet wissen, das den No Deal verhindern soll, bevor er und seine Labour-Partei einen Neuwahlantrag unterstützen würden, betonte er.

Damit Johnsons Neuwahlantrag durchkäme, müssten zwei Drittel der Abgeordneten im Unterhaus dafür stimmen. Die Regierung verfügt allerdings im 650-köpfigen Unterhaus seit dem Dienstag über keine Mehrheit mehr. Der Konservative Phillip Lee wechselte am Nachmittag während Johnsons Rede ostentativ die Fraktion und setzte sich zu den Liberaldemokraten.

Regierungschef Boris Johnson hat nach der verlorenen Abstimmung im Unterhaus umgehend reagiert und kündigte an, vorgezogene Neuwahlen zu beantragen.
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Neuwahl als Risiko

Für Politikprofessor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Uni wären Neuwahlen "ein erhebliches Risiko für Johnson". Zwar liegen die Torys mit 32 bis 34 Prozent etwa acht Prozentpunkte vor Labour; doch könnten die erstarkten Liberaldemokraten (19) und die in Schottland an der 50-Prozent-Marke kratzende Nationalpartei SNP der Regierungspartei rund 20 Sitze abjagen.

Die neue Stärke der Konservativen geht Curtice zufolge großteils auf das Konto von Anhängern der Brexit Party, die bei der EU-Wahl im Mai 30,5 Prozent bekam. Bei der Unterhauswahl gilt das Mehrheitswahlrecht, was kleinere Parteien benachteiligt. Dass dennoch 13 Prozent das neue Vehikel von Nigel Farage wählen wollen, könnte in knappen Wahlkreisen am ehesten den Tory-Kandidaten schaden.

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Zu ihnen würde im Wahlkreis Runnymede und Weybridge auch einer der Anführer der konservativen Abtrünnigen, der ehemalige Finanzminister Philip Hammond, gehören: Am Montagabend wurde der zuletzt mit 61 Prozent gewählte Abgeordnete erneut nominiert. Downing Street habe keine Handhabe gegen ihn, sagt Hammond: "Dies ist seit 45 Jahren meine Partei." Sollte Johnson doch versuchen, ihn loszuwerden, "dann steht ihm der Kampf seines Lebens bevor". (sbo, mhe, 4.9.2019)