Marcel Hirscher hat nach Meinung von Hans Knauß unvorstellbare Sachen geleistet. Der 30-jährige Salzburger hat seit seinem ersten Weltcupsieg beim Riesentorlauf 2009 in Val d'Isère ungemein viele Erfolge geliefert und gefeiert.

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Knauß über Hirscher: "Er ist mit dem Erfolg sensationell gut umgegangen. Das ist schon beneidenswert."

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Hans Knauß präpariert gerade seine Skier, als ihn der Anruf aus der Standard-Redaktion ereilt. "Im Sommer schafft man die Grundlage für den Winter", sagt der frühere ÖSV-Athlet und nunmehrige ORF-Kamerafahrer, der nachvollziehen kann, wie es um die Gemütslage von Marcel Hirscher bestellt ist. Der Dominator des Ski-Weltcups spricht am Mittwochabend in Salzburg in einer als "Rückblick, Einblick, Ausblick" titulierten Pressekonferenz zur Skination.

STANDARD: Wann ist es an der Zeit zurückzutreten?

Knauß: Das Programm, das Hirscher die letzten Jahre gefahren ist, war einfach unfassbar. Man darf nicht vergessen, dass sein Tag als oftmaliger Sieger viel länger war, als bei denen, die nicht unter den ersten drei waren. Pressekonferenzen, Interviews, alles war getaktet über den ganzen Tag, die ganze Woche, über Jahre. Von dem her ist das Programm vom Stresslevel her mit dem anderer nicht vergleichbar. Er hat das unglaublich gut gemanagt. Noch dazu kommt, dass es Hirscher verstanden hat, einen unglaublich kraftvollen, körperbetonten Stil zu fahren, den nicht jeder auf die Bretter bringt. Er hat wie ein Wahnsinniger Riesenvorsprünge herausgefahren, hat unvorstellbare Sachen geleistet, das powert aus.

STANDARD: Felix Neureuther glaubt, dass Hirscher den Weltcup auch mit weniger Aufwand dominieren würde. Stimmen Sie dem zu?

Knauß: Ich glaube nicht, dass er mit weniger Aufwand noch gewinnen könnte. Dann würde ihm die Konkurrenz schon schwer zusetzen. Wenn, dann müsste er mit derselben Energie an die Sache herangehen.

STANDARD: Als oftmaliger Alleinunterhalter aus ÖSV-Sicht musste er hoher Erwartungshaltung von außen standhalten. Eine längerfristig zu große mentale Belastung?

Knauß: Ich glaube, dass ihm das komplett wurscht war. Ich glaube nicht, dass es Hirscher berührt hat, ob bei einem Großereignis schon eine Medaille geholt wurde oder nicht. Das lässt einen Typ wie ihn kalt. Er war so auf sich selbst konzentriert, wusste, dass es grundsätzlich um ihn ging. Mit diesem Druck ist er sensationell umgegangen. Für einen Seriensieger wie ihn gibt es nur seinen Erfolg oder Misserfolg.

STANDARD: Wie sind Hirschers Erfolge im Ski-Weltcup einzuordnen?

Knauß: Er war im Slalom und Riesentorlauf die Benchmark. Besser als der erste Durchgang des Nachtslaloms in Schladming geht nicht mehr. Und ich frage mich, wer das in Zukunft auch nur annähernd schaffen könnte. Er hat oftmals Fahrten gezeigt, die knapp an der Perfektion waren. Das hat es in dem Geschäft noch nicht so oft gegeben.

STANDARD: Wenn jemand 67 Weltcupsiege feiert, zwei Olympia-Goldmedaillen und sieben WM-Titel gewinnt, dazu achtmal hintereinander Gesamtweltcupsieger wird, dann ist das kaum in Worte zu fassen.

Knauß: Man hätte sich nicht vorstellen können, dass dieser Superlativ möglich sein könnte. Das hätte er sich vor seinem ersten Sieg auch nicht gedacht. Mit dem ersten Erfolg ist diese Frechheit, dieses Selbstvertrauen beim Fahren dazugekommen, die Last abgefallen. Er ist mit dem Erfolg sensationell gut umgegangen, das ist schon beneidenswert. Das wird es wohl die nächsten zwei Jahrzehnte nicht mehr geben. Dass er extrem gut ist, das habe ich bei seinem ersten Weltcuprennen gesehen. Ich habe mir gedacht, habidere, da werden sich die anderen noch anschauen.

STANDARD: War Hirscher ein Getriebener, ein Perfektionist oder gar ein Besessener?

Knauß: Er hat von alldem was gehabt, aber nicht er alleine, sondern auch sein Vater. Beide waren eigentlich besessen, immer das Beste herauszuholen. An seinem Erfolg hat auch sein Vater einen großen Anteil, Hirscher hat es umsetzen müssen. Das Gespann ist vom Anfang bis in den Weltcup gemeinsam durchmarschiert. Und sein Vater hat immer gespürt, ob sie am richtigen Dampfer waren oder nicht. Diese Gabe haben nur wenige.

STANDARD: Was brauchte es, um Hirscher zu schlagen?

Knauß: Es gab bei vielen Rennen, wie zum Beispiel 2015 in Garmisch-Partenkirchen, als er mit über drei Sekunden Vorsprung gewann, weit und breit niemanden, der ihn schlagen hätte können. Das Duell mit Henrik Kristoffersen war herrlich, da ist es auch öfter knapper geworden. Dass bei ein paar Läufern sowohl die Physis, als auch das Können und das ganze Drumherum passen, das war klar, nur letztlich hat der Konkurrenz das Selbstvertrauen, diese Frechheit im Steilhang noch ärger drauf zu gehen, gefehlt.

STANDARD: Wie sind Sie mit der Problematik Rücktritt umgegangen?

Knauß: Mir hat mein Job geholfen. Er füllt mich aus, taugt mir. Ich kann mich in gewisser Weise wie früher ausleben. Man muss sondieren: Was ist mir wichtig? Du musst dich neu orientieren und etwas finden, das deinem Leben Sinn gibt. Bei mir war es Training, weil ich mich weiter körperlich spüren wollte. Ich habe drei Monate nach meinem Karriereende gar nichts gemacht, jeden Tag Kaffee getrunken und Torte gegessen, aber irgendwann bin ich unrund gelaufen, habe gemerkt, dass irgendwas nicht passt. Dann bin ich ins Fitnessstudio gegangen, bin fix und fertig heimgefahren und war der zufriedenste Mensch.

STANDARD: Welchen Rat können Sie Hirscher geben?

Knauß: Ich kann ihm nur einen Tipp geben, dass er sich genügend Zeit lässt mit dem Eintritt ins normale Leben, weil das für Spitzensportler nicht so leicht ist. Am besten ist es, Sachen zu machen, die dich im Leben erfüllen. Gott sei Dank brauchen wir für ihn kein Spendenkonto einrichten. (Thomas Hirner, 4.9.2019)