In den globalen Protesten für das Klima erkennt die Sozialwissenschaft eine neue Jugendbewegung. Eine Bewegung, die sich sich ihrerseits auf wissenschaftliche Fakten bezieht.

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Antonio Donato Nobre ist nicht irgendein Apokalyptiker, der im Internet auffallen will. Nobre ist einer der bedeutendsten Waldökologen der Welt, kennt den Regenwald wie kaum einer, lebte und forschte fast 15 Jahre im Amazonas-Gebiet. Er ist Professor am Institut für Weltraumforschung in São José dos Campos bei São Paulo, das die Entwaldungen und Waldbrände in Brasilien erfasst. Nobre steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Wissenschaft; was er sagt, hat Hand und Fuß.

Und er sagt, vom deutschen "Tagesspiegel" jüngst zu den Folgen der weltweiten Waldbrände für das globale Klima befragt: "Wir haben bereits die Katastrophe. Es ist so, als ob das Flugzeug schon abgehoben ist. Du bist zu spät, du kommst da nicht mehr rein. Es macht keinen Sinn, über die Zukunft zu sprechen. Sie ist so schwarz, so erschreckend, so katastrophal, dass die Leute in Panik geraten könnten und völlig paralysiert wären. Die Realität ist: Die Titanic sinkt. Was ist jetzt noch zu tun? Lass die Rettungsboote zu Wasser und hol die Schwimmwesten raus. Und zwar schnell."

Sofortiges Handeln

Wer dem Mann Glauben schenkt, muss seine Worte eigentlich gleich wieder vergessen wollen, sie verdrängen, sich ablenken und auf andere Gedanken bringen. Sonst blieben nur wenige Optionen: Panik, Verzweiflung – oder aber sofortige Aktion.

Mitte März folgten tausende junge Menschen Greta Thunbergs Aufruf zur Demo am Wiener Heldenplatz. Auch am kommenden Freitag wird dort zum Schulbeginn wieder gestreikt – bereits zum 38. Mal.
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Für Letzteres haben sich jene Menschen entschieden, die unter dem Motto "Fridays for Future" seit Monaten auf die Straße gehen. Die es vorziehen, aktiv zu werden, andere aufzurütteln und sofortiges Handeln von Politik, Industrie und Gesellschaft einzufordern, anstatt in lähmende Weltuntergangsstimmung zu verfallen. Natürlich: Die Klimakrise kennt keine Sommerferien, keine Übergangsregierung und auch keine Vorwahlzeit. Doch jetzt, wo die Schule wieder beginnt und die Studierenden in die Städte zurückkehren, sind die Klimaproteste wieder sichtbarer. Sie nehmen global Fahrt auf – und auch der österreichische Ableger gibt ein kräftiges Lebenszeichen von sich.

Viel Zünd und Stoff

Der Sommer hat reichlich Stoff geliefert, der die Drastik der Klimakrise zeigt: die katastrophalen Waldbrände in vielen Teilen der Welt, auftauender Permafrost, geknackte Hitzerekorde weltweit – 42 Grad in Paris und 50 in Indien –, dazu dramatische Wasserknappheit, Unwetter, Verwüstungen. Mit Trump und Bolsonaro schalten an neuralgischer Stelle der Welt weiterhin Männer, die den menschengemachten Klimawandel leugnen. Und in Österreich hat der zweite Rekordsommer in Folge viele Menschen sehr unmittelbar, ja, körperlich spüren lassen, was die Erderwärmung für uns alle heißt.

Es ist wieder Freitag: Die Streiks sollen andauern, bis die Entscheidungsträger handeln.
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Man kann also von einem Momentum für einen Systemwandel sprechen. Dieses Gefühl, dass die Klimakrise alle anderen Themen gewissermaßen in den Schatten stellt, dass jedes Alltagshandeln dahingehend zu überprüfen ist, welchen Einfluss es auf das Klima hat – das ist für viele junge Menschen heute ständiger Begleiter. Die Klimafrage wurde für sie zum Hauptwiderspruch, aus dem sich viele andere gesellschaftliche Fragen erst ableiten.

Kipppunkte, galoppierender Treibhauseffekt, Heißzeit: Viele Junge verwenden diese Begriffe heute ganz selbstverständlich; sie wissen um ihre Bedeutung. Denn sie sind jene, die noch lange mit ihnen zu tun haben werden. Viele Sozialwissenschafter nennen die weltweiten Klimaproteste mittlerweile eine neue Jugendbewegung. Die Demonstranten ihrerseits beziehen sich auf wissenschaftliche Fakten, die die Dramatik der Situation untermauern.

Große Koalition

Dabei gesellen sich mittlerweile viele Vertreterinnen und Vertreter anderer Gesellschaftsgruppen und Generationen zu den Jungen: Eltern haben sich unter dem Label "Parents for Future" zusammengetan, in Wien protestieren die "Teachers for Future" Seite an Seite mit ihren Schülern, die "Scientists for Future" formierten sich in mehreren Ländern und reichen den Jugendlichen die Fakten: 12.000 Wissenschafter im deutschsprachigen Raum unterstützten im Frühjahr ihre Anliegen in einem offenen Brief. Dass viele dieser Forscher aus der Klimatologie, der Meteorologie oder der Biologie kommen, macht ihr Engagement gewichtig. "Die Jugend schafft, was der Wissenschaft bisher nicht gelungen ist", sagte die österreichische Ökonomin Sigrid Stagl vor einiger Zeit dem STANDARD. Und meinte damit, dass es die Jungen in den letzten Monaten zustande gebracht haben, die Folgen von Klimakrise und Erderwärmung emotional im Alltagsverstand der Menschen zu verankern. Keine schwache Leistung. (Lisa Mayr, 5.9.2019)