Elsa Okazaki

Pierre-Emmanuel Finzi und Lise Lendais im frischrenovierten Le Studio in Wien, wo sie als künstlerische Leiter künftig Film und Theater gemeinsam kuratieren werden.

Film und Theater sind wie Geschwister: verwandt, aber doch völlig verschieden. So nahe wie in "Filmtheater", dem frühen Wort für Kino, kommen sie einander in der Realität eher selten. Und doch: Theater und Film teilen sich Schauspieler und Regisseure, Autoren und Ausstatter und manchmal sogar ein gemeinsames Universitätsinstitut. Und jetzt gibt es auch eine gemeinsame Spielstätte. Lise Lendais und Pierre-Emmanuel Finzi eröffnen am Freitag in Wien Le Studio als Ort für Theater und Film.

Am Standort des Studio Molière in der Liechtensteinstraße ziehen Film- und Theaterschaffende zugleich ein. Die neurenovierte und seit dem Pre-Opening durch Markus Öhrn bei den Wiener Festwochen bekannte Bühne wird nun Hand in Hand kuratiert: Film durch Finzi und seinen Verleih Filmgarten; Theater von Bühnen- und Kostümbildnerin Lendais. Es geht dabei nicht um Überschneidungen oder inhaltliche Querverweise zwischen Bühne und Film. Vielmehr stehen künstlerische Einzelpositionen im Raum, die gemeinsam lesbar werden.

Optimismus

Der zwitterhafte Ort und seine Art des Kuratierens sind außergewöhnlich. Zumindest haben Finzi und Lendais bisher nirgendwo ein vergleichbares Modell entdeckt. Im Filmbereich gibt es allerdings einen Trend, den Le Studio nun miteinlöst. In Metropolen wie New York oder Paris wagen einzelne lokale Kinos einen Neuanfang – als optimistischer Kontrapunkt zur Wehklage wegen des Besucherrückgangs. Die Ausrichtung ist meist ähnlich, Trouvaillen statt Einheitsbrei. Häuser wie das Metrograph an der Lower East Side sollen dem Kinobesuch zudem wieder den Glanz des Besonderen verleihen, retroschick und auf eine gebildete, urbane Zielgruppe ausgerichtet.

Die Ausschreibung für Le Studio (242 Plätze) erfolgte durch das Institut français, von dem die Bühne neben der Stadt Wien, dem BKA Film und dem Bezirk Alsergrund gefördert wird. Auch das Lycée unterstützt den Standort durch eine niedrige, nur symbolische Miete. Die Besonderheit liegt also nicht nur in der Kombination zweier Programmschienen, sondern auch in der Anbindung an die unmittelbar nebenan gelegene Schule des Lycée français de Vienne, dem das Gebäude auch gehört. Mit Le Studio wollen Lendais und Finzi eben keine Konkurrenz zu anderen Kinos oder Bühnen schaffen, sondern dem Haus eine neue Rolle erschließen: als Ort der Vermittlung (Schule), aber auch für Gastspiele und Kooperationen sowie Partnerschaften mit anderen Wiener Institutionen. Tagsüber wird Le Studio für schulische Zwecke genützt, abends kommt dann die Allgemeinheit zum Zug.

Silvia Costa, Mariano Llinás

Eröffnet wird am Freitag mit zwei außergewöhnlichen Künstlern. Zunächst präsentiert die mit Romeo Castellucci assoziierte italienische Regisseurin und Performerin Silvia Costa ihr am Landestheater Vorarlberg produziertes Stück-Tandem Spiel / Wry Smile Dry Sob und ist damit erstmals als Solokünstlerin in Wien zu Gast. Danach wird die Leinwand heruntergefahren, und Le Studio wird zum Kino: für La Flor des argentinischen Regisseurs Mariano Llinás. Der Film kommt einem Statement gleich. In über 14 Stunden navigiert er durch ein erzählerisches Labyrinth, in dem vier Schauspielerinnen unterschiedliche Genres bevölkern – vom B-Movie bis zum Schwarz-Weiß-Film à la Jean Renoir.

"Mir geht es um ein Kino, das etwas riskiert", sagt Finzi, "und das jenes Segment im Arthouse-Bereich abdeckt, das in Wien kaum noch regulär gezeigt wird." Finzi muss nicht unbedingt nach finanziellem Kalkül agieren und sucht neue Wege der Distribution: Dokumentarische Essays wie Thomas Heises Heimat ist ein Raum aus Zeit will er nicht drei Wochen am Stück spielen, um die übliche "Minimumgarantie" gegenüber dem Weltvertrieb einzulösen.

"Relaxed Vorstellungen"

Die finanzielle Grundausstattung von Le Studio liegt mit 65.500 Euro vorerst sehr niedrig, weshalb nicht selbst produziert wird, sondern handverlesene, in Wien kaum zu sehende Theaterstücke (eines pro Monat) gastieren. Im Jänner kommt beispielsweise das Antwerpener Theaterkollektiv Tg Stan. "Wir suchen aber auch die Zusammenarbeit mit Stadttheatern", so Lendais. Verquickungen, die neue Kollaborationen ermöglichen. Neu auch: Le Studio führt sogenannte "Relaxed"-Vorstellungen ein. Das sind Vorstellungen, in denen Lärm und Bewegung toleriert werden. (Margarete Affenzeller, Dominik Kamalzadeh, 5.9.2019)