Orson Welles als Harry Lime, verstrickt in üble Schwarzmarktgeschäfte.

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In seinen Memoiren erinnert sich der ehemalige CIA-Chef Leon Panetta an eine denkwürdige Episode in Wien. 2010 kam es auf dem Flughafen Schwechat zum größten Agentenaustausch zwischen den USA und Russland seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. "Der Kalte Krieg war vorbei, aber die Szene in Wien war der Beweis dafür, dass die alten Spiele munter weitergingen. Alles, was fehlte, war der Klang einer Zither." Damit spielt Panetta auf die Musik in Carol Reeds Filmklassiker "Der dritte Mann" an, der so nachhaltig wie kein anderes Werk das Bild Wiens im späteren 20. Jahrhundert prägte.

Der Film wurde, während der Besatzungszeit in einer zwischen den Siegermächten geteilten Stadt spielend, zum Sinnbild des beginnenden Kalten Kriegs und der mit ihm verbundenen Spionage. Sie war gerade für Wien symptomatisch, denn nach dem Krieg kamen nicht nur viele internationalen Organisationen und Diplomaten, sondern auch Geheimdienste und Agenten in die Hauptstadt des neutralen Österreichs.

Historische Hintergründe des "Dritten Mann"

Zum 70. Jubiläum der Premiere des "Dritten Mannes" 1949 in London hat das an die Karl-Franzens-Universität Graz angelehnte Austrian Center for Intelligence, Propaganda & Security Studies (ACIPSS) nun ein Schwerpunktheft seiner Zeitschrift "JIPSS" herausgegeben, das kürzlich bei einer Tagung im Haus der Geschichte Österreichs vorgestellt wurde. Darin werden Einblicke in historische Hintergründe des "Dritten Mann" geboten, die tief in das Milieu der Geheimdienste und in die Wirren des Kalten Krieges führen.

Wie der Historiker Thomas Riegler in seinem Beitrag zeigt, dürfte es bei der Entstehung des Films von Geheimdienstlern geradezu gewimmelt haben. So waren sowohl der aus Österreich-Ungarn gebürtige Produzent Alexander Korda von London Films, der 1932 nach Großbritannien emigrierte, als auch der von ihm beauftrage Autor des Drehbuchs, der Schriftsteller Graham Greene, für den britischen Auslandsgeheimdienst Secret Intelligence Service (SIS) tätig.

Bei einer Recherchereise vor Ort traf Greene 1948 auf Peter Smolka, einem Wiener, der 1933 nach Großbritannien ging, dort im Informationsministerium arbeitete, aber als überzeugter Kommunist für die Sowjetunion tätig war. Nach dem Krieg kam er als britischer Bürger zurück nach Wien und schrieb für die Londoner "Times". Greene und Smolka sprachen offenbar nächtelang intensiv miteinander und tranken dabei recht viel Alkohol.

Entscheidende Anregungen

Von Smolka erhielt Greene dabei einige entscheidende Anregungen für den Film, etwa zur berühmten Verfolgungsjagd in der Kanalisation. Smolka schrieb schon vor seiner Emigration einen Artikel über die "Strotter", Obdachlose, die in der Kanalisation lebten und im Abwasser nach verlorenen Wertsachen suchten, um sie zu Geld zu machen. Nicht zuletzt ihretwegen unterhielt Wien damals mit der Kanalbrigade eine Polizeieinheit eigens für die Unterwelt, die in weißen Overalls und Gummistiefeln im Film zu einem sehr prominenten Auftritt kam.

Greene und Smolka dürften sich in Wien auch über ihren gemeinsamen Freund Kim Philby ausgetauscht haben, der als das reale Vorbild des "Dritten Mannes" gilt, des im Film von Orson Welles gespielten Harry Lime. Philby war ein hochrangiger britischer Agent und zeitweise Greenes Vorgesetzter im SIS.

Erfolgreiche Doppelagenten

Als marxistischer Idealist spionierte er aber zugleich für den KGB. Durch Tätigkeiten u. a. in der britischen Botschaft in Washington bekam er Zugang zu wichtigen Informationen und wurde so zu einem der erfolgreichsten Doppelagenten des 20. Jahrhunderts. Nach seiner Enttarnung 1961 floh er nach Moskau, wo er 1988 verstarb. In der Sowjetunion erhielt er mehrfach Besuch von Greene, der 1968 sogar ein Vorwort zu seinen Memoiren beisteuerte.

Entscheidend geprägt wurde Philby durch einen Aufenthalt in Wien. Der frischgebackene Cambridge-Absolvent kam 1933 in die Stadt, um sein Deutsch zu verbessern – und wurde dabei im Jahr 1934 auch Zeuge der Februarkämpfe.

Der marxistische Idealist arbeitete in dieser Zeit für die verbotene KPÖ als Kurier und half Mitgliedern des Republikanischen Schutzbundes, die sich in Wien-Heiligenstadt in der Kanalisation versteckten. Zudem verliebte er sich in die österreichische Kommunistin Alice Kohlmann, die er im Wiener Rathaus heiratete, kurz bevor er sie und sich selbst nach England in Sicherheit brachte.

Eine Freundschaft

Der Historiker und Gründer des ACIPSS, Siegfried Beer, schreibt in einem Magazinbeitrag, Greene habe im "Dritten Mann" seine spannungsreiche Freundschaft zu Philby reflektiert. Von Smolka, der mit Philby seit dessen Zeit in Wien bekannt war und mit ihm in London zeitweilig eine Nachrichtenagentur betrieb, könnte Greene erfahren haben, dass sein Freund als Doppelagent tätig ist, was für ihn eine herbe Enttäuschung gewesen sein muss.

Greene dürfte es also ganz ähnlich wie der von ihm erschaffenen Figur Holly Martins ergangen sein, der nach seiner Ankunft in Wien erfährt, dass sein enger Jugendfreund ein Doppelleben führt und rücksichtslose Schwarzmarktgeschäfte mit gestrecktem Penicillin betreibt.

Selbstbewusste Frau

Frauen spielten nicht zuletzt hinter den Filmkulissen eine zentrale Rolle, wie die Historikerin Brigitte Timmermann beschreibt. Sie erforscht den "Dritten Mann" schon seit den späten 1980er-Jahren. So wurde Greene bei seinem Aufenthalt in Wien von Elizabeth Montagu betreut, die in den Kriegsjahren in der Schweiz für amerikanische Geheimdienste arbeitete. Sie war es, die ihn mit Peter Smolka bekannt machte. Im Vorspann wird sie als "Austrian Advisor" angeführt.

Die Rolle der Anna Schmidt, gespielt von Alida Valli, verkörpere ein selbstbewusstes und unkonventionelles Frauenbild, meint Timmermann: Nicht nur unterhält sie ein damals in der österreichischen Bevölkerung verpöntes Verhältnis zum Amerikaner Lime. Am Ende des Films zeigt sie auch dem in sie verliebten Martins die kalte Schulter – und zieht allein durch die Allee des Zentralfriedhofs.

Timmermann unterstrich im Zuge der Tagung auch den wichtigen österreichischen Beitrag zur britischen Produktion: von dem damaligen Burgtheaterstar Hedwig Bleibtreu als Hausdienerin, die mit zäher Regelmäßigkeit gegen die in ihr Haus eindringende Polizei poltert ("Hier hat einst ein Metternich verkehrt!"), über die Zithermusik von Anton Karas, der mit dem "Harry Limes Thema" als erster Österreicher einen Nummer-eins-Hit in den britischen und amerikanischen Charts landete, bis hin zum Millionenkredit, mit dem die Oesterreichische Nationalbank damals die Produktion unterstützte.

In Österreich zunächst eher ungeliebt

Doch obwohl es sich also "fast um einen österreichischen Film" handelt, wie Timmermann sagt, stieß dieser auf ein durchwachsenes Echo, als er 1950 auch in den österreichischen Kinos anlief: "Viele Wiener fanden, der Film zeichne ein allzu hässliches Bild ihrer Stadt. Außerdem wurden die österreichischen Kinobesucher nur sehr ungern an den Krieg erinnert."

In Wien begann man sich für den Film erst wieder zu interessieren, als man sein Potenzial im Stadtmarketing erkannte – doch die mit großer Mehrheit von Touristen frequentierten Angebote hätten dem weltweit gefeierten Kultfilm noch nicht aus dem Schattendasein verholfen, das er hierzulande fristet, sagt Timmermann.

Vielleicht ändert sich das nun im Jubiläumsjahr: Die Vorführung beim Filmfestival vor dem Rathaus war sehr gut besucht, Ende September erscheint auch ein neues Buch des österreichischen Kultur- und Filmjournalisten Bert Rebhandl, regelmäßiger Autor des STANDARD: "Der dritte Mann. Die Neuentdeckung eines Filmklassikers." (Czernin). Derzeit läuft der Film im Burgkino in Wien. (Miguel de la Riva, 6.9.2019)