Ihr Ressort wiegt nicht schwer: Gerade 0,007 Prozent des französischen Staatshaushalts fließen in die Verteidigung und den Schutz von Frauenrechten, für die Marlène Schiappa in der Regierung zuständig ist. Trotzdem ist die 36-jährige Staatssekretärin bekannter, populärer und zugleich kontroverser als alle Macron-Minister. Sie scheut sich nicht, in den biedersten TV-Shows aufzutreten, und wenn dort allzu drastische Machowitze fallen, zögert sie nicht, dem Betreffenden einen Vortrag über die unterschwellige "Kultur der Vergewaltigung" zu halten.

Marlène Schiappa nimmt sich kein Blatt vor den Mund – und eckt damit häufig an.
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Schiappa stammt selbst aus einfachem Elternhaus, die Mutter war Lehrerin, der Vater professioneller Trotzkist. Ihren Job als Werbeberaterin hängte die früh Verheiratete an den Nagel, weil die Bürositzungen meist über 18 Uhr hinaus dauerten; das hinderte sie daran, ihr Kind aus der Tageskrippe zu holen. Sie startete einen Blog namens "Maman travaille" (Mama arbeitet), der sofort einschlug. Über die Sozialisten in die Politik gekommen, betätigte sich Schiappa im Präsidentschaftswahlkampf 2017 erfolgreich als Saaleinheizerin für den Kandidaten Emmanuel Macron und die Sache der Frauen. Folgerichtig wurde sie Staatssekretärin für die Gleichstellung von Mann und Frau.

Gesetz gegen sexuelle Belästigung

Vor einem Jahr brachte Schiappa ihr erstes Gesetz gegen sexuelle Belästigung durch. Gut 800 Bußen à 75 Euro sind mittlerweile ergangen. Die sozialen Medien lästerten hingegen, die prüde Ministerin ertrage es wohl nicht, dass man ihr auf der Straße nachpfeife. Schiappa lachte solche Bemerkungen nur weg. Sie kleidet sich gerne feminin, und ihr Dekolleté ist auch eine politische Botschaft für die Banlieue-Mädchen, die sich nicht mehr trauen, im Rock auf die Straße zu gehen. Unter dem Pseudonym Marie Minelli hatte sie früher selbst erotische Romane geschrieben. Kürzlich bezeichnete sie sich als "sapiosexuell" – angetörnt durch Intelligenz.

Auch unter Feministinnen ist Schiappa umstritten. Vor einem Jahr verteidigte sie zwei Ministerkollegen – Gérald Darmanin und Nicolas Hulot – gegen Vorwürfe sexueller Gewalt, indem sie auf die Unschuldsvermutung pochte. Das klang für eine Frauenministerin eher deplatziert; allein, beide Ermittlungen wurden in der Folge eingestellt. Schiappa hatte recht behalten; trotzdem haftet ihr seither der Ruf an, sie sei ihrem Vorgesetzten Macron geradezu ergeben und verteidige ihn uneingeschränkt, auch wenn sein Einsatz für die Frauenrechte oft nur heiße Luft bleibe.

Französinnen machen in Kundgebungen auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam.
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Generalstände gegen Gewalt

Das soll sich jetzt ändern. Die furchtlose Staatssekretärin, die den Frauen "die Angst vor ihren Peinigern nehmen" will, wie sie ihre Mission umschreibt, organisiert seit dieser Woche Versammlungen mit dem Titel "Generalstände gegen die Gewalt in der Ehe". Die Großveranstaltung soll bis Ende November dauern und konkrete Beschlüsse fassen. Erklärtes Ziel ist es, die skandalös hohe Zahl der weiblichen Todesopfer aufgrund von Gewalt in der Ehe in Frankreich (121 im Vorjahr, 101 bereits in diesem Jahr) mit allen Mitteln zu senken.

Schiappa dämpft die Erwartungen allerdings selbst: "Die Feminizide (Morde an Frauen, Anm.) werden nicht von einem Tag auf den anderen aufhören", meinte sie nicht zuletzt an die Adresse der Linksfeministin Clémentine Autain, die sich selbst als Vergewaltigungsopfer geoutet hat und die Generalstände als "Blabla" abtut.

Bleiberecht für bedrohte Frauen und Kinder

Als Antwort darauf hat Premierminister Edouard Philippe am Dienstag fünf Millionen Euro in Aussicht gestellt, um neue Auffangzentren für 750 bedrohte Frauen und Kinder zu schaffen. Schiappa stand schweigend daneben, obwohl die Maßnahme ihr Kind ist. Später präzisierte sie, es handle sich nicht um Notfallstationen, sondern um ein Bleiberecht bis zu einem Jahr; bis dann solle das Rechtsverfahren gegen gewalttätige Partner abgeschlossen sein. Schon vor einer Verurteilung, ja, teilweise bereits nach der ersten Gerichtsklage soll es zudem möglich werden, die Täter mit elektronischen Fußfesseln zu versehen.

Anfang September wurde in Frankreich der hundertste Frauenmord beklagt.
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Auf den Einwand hin, immer wieder würden Frauen getötet, obwohl sie eine Polizeiwache aufgesucht hätten, räumte Schiappa ein: "Es gibt Fälle, wo eine Frau die Polizei zehnmal zu Hilfe rief, bevor sie umgebracht wurde." Abhilfe weiß die Ministerin aber auch nicht: "Das sind Störfälle, denen wir nachgehen müssen", meinte sie diese Woche sehr unverbindlich.

Vorwürfe und Kritik

Es fehle nicht an Strafnormen wie etwa der Strafverschärfung für Männer, die ihre Frauen vor den Kindern schlagen. Das bringe aber wenig, solange sich die Täter zu Hause in einem straffreien Raum wähnten, argumentiert Schiappa. Fast wichtiger als konkrete Maßnahmen sei die Vorbeugung durch die Schaffung eines gesellschaftlichen und persönlichen Bewusstseins.

Das ist nicht nur eine Antwort auf Vorwürfe von Linkspolitikerinnen, ihre Generalstände seien bloßes Geschwafel. Die eifrige Twitter-Userin Schiappa, die den Machos sogar aus den Sommerferien Standpauken hält, hat in zwei Jahren im Amt einiges bewegt. Zumindest in den sozialen Medien sind die Debatten dank der "Zensorin", wie sie von Gegnern genannt wird, zivilisierter geworden. Wenn Schiappa ausführt, der Kampf gegen die Gewalt in der Ehe beginne schon bei der Aufgabenteilung im Haushalt, erntet sie kaum mehr hämische Kommentare. Aber vielleicht ist das nicht einmal das Verdienst der rührigen Ministerin, sondern schlicht der wachsenden Einsicht der Franzosen in die horrende Zahl an Partneropfern. (Stefan Brändle, 5.9.2019)