Dankesrede der "Ballesterer"-Macher Nicole Selmer, Benjamin Schacherl und Jakob Rosenberg im Wortlaut
"Lieber Österreichischer Journalisten-Club, liebe Beate Haselmayer, sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, werte Gastgeber und Gäste,
selbst wenn Sie sich nur ein bisschen für Fußball interessieren sollten, werden Ihnen Wechselspielerinnen und -spieler ein Begriff sein. Wir sind eingewechselt worden – und freuen uns, wie es am Platz auch meist der Fall ist, darüber. Dennoch wollen wir etwas über denjenigen sagen, den wir ersetzen. Wir kennen Markus Wilhelm von Recherchen zum Tiroler Fußball, wir verstehen seine Erklärung, warum er heute nicht hier ist, wir können seine Kritik nachvollziehen. Uns verbindet, wenn wir das so sagen dürfen, einiges. Doch uns unterscheidet auch einiges. Im Unterschied zu ihm, der sich als politischer Aktivist bezeichnet, der dazu schreibt, sind wir Teil des Journalismusbetriebs. Wir produzieren zehnmal im Jahr ein Magazin, und manche – leider nicht alle – in der Redaktion leben von dieser Arbeit.
Das Spannungsverhältnis zwischen kritischem Journalismus und den Anforderungen des wirtschaftlichen Überlebens müssen wir aushalten. Wir könnten Ihnen jetzt von Werbekunden erzählen, die nur dann inserieren würden, wenn sich das Engagement als redaktioneller Beitrag tarnt – und von Presseabteilungen von Verbänden und Vereinen, die den Unterschied zwischen Journalismus und PR nicht erkennen wollen. Wir wissen um diese Schwierigkeiten – und lassen uns davon nicht kleinkriegen. Wir gehen keine halbseidenen Deals ein – und pochen auf unsere Unabhängigkeit.
Teil eines Milliardengeschäfts
Doch wir wissen auch, dass wir Teil eines Milliardengeschäfts sind – ohne das es uns nicht geben würde. Wir berichten von einer WM in Russland, veranstaltet von der Fifa, die von einem Korruptionsfall zum nächsten wankt. Wir berichten kritisch, aber wir berichten, und damit sind wir Teil des Systems. Doch Teil des Journalismusbetriebs zu sein bedeutet nicht, keine Haltung zu haben. Der Ballesterer ist vor fast 20 Jahren mit dem Anspruch gegründet worden, einen anderen Fußballjournalismus zu machen. Sie werden in unserem Magazin viele Texte lesen, die vom Fußball als Teil der Gesellschaft handeln – in der Politik, Wirtschaft, Kultur und Geschichte.
Das gilt auch für unsere mit dem Claus-Gatterer-Preis ausgezeichnete Titelgeschichte "Vereinte Nationen. Die Integrationsdebatte im Fußball" aus dem November 2018. Darin gehen wir dem Verhältnis von Fußball, Migration und Rassismus nach. Wir fragen, was das für den vor 117 Jahren gegründeten Unterhausverein SK Slovan HAC im 14. Wiener Gemeindebezirk bedeutet und für den 1978 von türkischen Einwanderern gegründeten Klub Türkiyemspor in Berlin-Kreuzberg. Bei Slovan haben 75 Prozent der Spieler migrantische Wurzeln, der Verein hat keine politische Mission, kein Programm. 'Wir reden nicht von Integration, wir machen einfach', sagt Sektionsleiter Matthias Sodl. 'Ich glaube, dass es gar nicht anders geht.' Es geht, auch das erzählen wir, nicht ohne Probleme. Da sind die Eltern, die ihre Tochter nicht kicken lassen wollen, da ist das Thema Schweinefleisch, und da ist der Mitspieler, der abgeschoben wird.
Migration anders erzählen
Uns war es ein Anliegen, das Thema Migration anders zu erzählen, als es zumeist in der Öffentlichkeit vorkommt – nicht als Krise und Sicherheitsproblem, nicht als Debatte über die Schließung von Grenzen und die Blockierung von Wegen. Sondern als Realität und gelebten Alltag. Wir wollten Menschen, die nach Österreich gekommen sind, zu Wort kommen lassen. Sie erzählen ihre Geschichten von Flucht und Fußball. Es sind sehr unterschiedliche Geschichten – da ist der ehemalige österreichische Teamspieler Muhammet Akagündüz, 1987 aus der Türkei eingewandert, dessen Eltern stolz sind auf den sportlichen Erfolg, aber auch enttäuscht, dass er dafür sein Medizinstudium abbricht. Da ist der Ex-Profi Mirnel Sadović, 1991 vor dem Krieg aus Jugoslawien geflohen, der uns von seinen Erfahrungen mit dem Schulsystem in Österreich berichtet.
'Die Lehrerin hat erwartet, dass ich nach zwei Monaten alles mitmache. Das war natürlich nicht der Fall. In der Klasse war ich der Außenseiter. Ich konnte kein Deutsch und war nicht so angezogen wie die anderen. Das Einzige, was ich gut konnte, war Fußball spielen. Ich habe mich dadurch beliebter gemacht.' Und da ist die 20-jährige Siba al-Jounes, die schon als Kind in Syrien mit ihrem Vater Fußball gespielt hat und das heute immer noch in Wien im Käfig tut. An die Profikarriere, von der ihr Vater für sie träumt, glaubt sie nicht mehr, sie will Apothekerin werden.
Akagündüz ist heute Fußballtrainer und betreibt mit seinen Geschwistern ein Elektrogeschäft auf der Ottakringer Straße, Sadović macht in seinem Lokal in der Mariahilfer Straße die wohl besten Ćevape von Wien bis Sarajevo, und al-Jounes absolviert eine Lehre zur Zahnarztassistentin in Wien. Mit dem Fußball haben sie heute also mehr oder weniger viel zu tun, mit der Gesellschaft und einem Alltag in Österreich sehr viel. Sind sie deswegen Paradebeispiele für eine gelungene Integration? Das denken wir nicht, weil der Begriff Integration schon die Idee voraussetzt, dass Teile in ein vorhandenes Ganzes integriert werden. Ein Wir, in das sich die einfügen sollen. Doch so funktioniert weder die Gesellschaft noch ein Fußballteam. Um das besser zu illustrieren: Stark sind nicht die Teams, bei denen alle dieselben Fähigkeiten haben, sondern diejenigen, bei denen sich Stürmer, Mittelfeldspieler, Verteidiger und Torleute mit ihrem unterschiedlichen Können gut ergänzen – und bei denen auch eingewechselte Spieler entscheidende Tore machen können.
Wir stehen für einen Journalismus, der die Geschichten erzählt, die sonst nicht gehört werden. Das ist die Haltung des Ballesterer, das ist der Journalismus, den Sie ausgezeichnet haben. Darüber freuen wir uns sehr und möchten uns sehr herzlich bei Ihnen, werte Jury, bedanken. Ein mindestens genauso großer Dank geht an unsere Leser und Leserinnen, die uns Monat für Monat beweisen, dass es ein Interesse an Qualitätsjournalismus gibt – selbst wenn die Nische noch so klein sein mag. Und ein großes Danke an die hunderten Kolleginnen und Kollegen, die seit fast 20 Jahren ihre Fähigkeiten, ihre Zeit und ihren Enthusiasmus bei unserem Magazin in allen möglichen Bereichen einbringen – als Autorinnen und Autoren, Fotografinnen und Fotografen, Gestalterinnen und Gestalter, Herausgeberinnen und Herausgeber, Gesellschafter, in der Geschäftsführung und der Aboabteilung. Ohne sie könnte es den Ballesterer nicht geben."
Nachlese
Blogger Markus Wilhelm nimmt Gatterer-Journalistenpreis des ÖJC nicht entgegen – "Ich hab' mit dem Journalistenbetrieb nichts zu tun, noch weniger mit dem Österreichischen Journalisten-Club, am allerwenigsten" mit den Sponsoren – ÖJC will bis 5. September neuen Preisträger suchen