Im Gastkommentar merkt der Historiker Gerald Stourzh an, dass man beim Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht nur an Deutschland denken darf. Auch Österreicher tragen Schuld – und haben um Vergebung gebeten.

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Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekannte sich in seiner Rede zur historischen Schuld Deutschlands.
Foto: AP Photo/Czarek Sokolowski

Ein heikles Thema: Während TV-Zuseher sahen, wie der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier in Warschau sogar mit einigen polnischen Worten das polnische Volk um Vergebung bat, haben sich vielleicht manche deutschen Zuseher gefragt: "Und was ist mit den Österreichern?"

So ist es vielleicht angezeigt, an die bekannte Erklärung des Bundeskanzlers Franz Vranitzky vom 8. Juli 1991 zu erinnern: "... wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen. Und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen, bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten ... Ich möchte das heute auch ausdrücklich im Namen der Bundesregierung tun."

Waldheims Bitte

Weil fast unbekannt, möchte ich auch die Worte des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim in einer TV-Ansprache vom 10. März 1988 zitieren: "Der Holocaust ist eine der größten Tragödien der Weltgeschichte ... Ich verneige mich mit tiefem Respekt vor diesen Opfern, die uns stets Mahnung und Auftrag sein müssen ... Wir dürfen nicht vergessen, dass viele der ärgsten Schergen des Nationalsozialismus Österreicher waren. Es gab Österreicher, die Opfer, und andere, die Täter waren. Erwecken wir nicht den Eindruck, als hätten wir damit nichts zu tun. Selbstverständlich gibt es keine Kollektivschuld, trotzdem möchte ich mich als Staatsoberhaupt der Republik Österreich für jene Verbrechen entschuldigen, die von Österreichern im Zeichen des Nationalsozialismus begangen wurden."

Zu diesen ärgsten österreichischen Schergen gehörte zweifellos Odilo Globocnik, 1904 bis 1945 (Selbstmord), der in Polen wütete und der gerade deshalb in diesen Tagen genannt werden sollte. Globocnik wurde von Heinrich Himmler zum obersten Leiter der "Aktion Reinhard", 1942–1943, bestimmt, die die Ausrottung aller in Polen ansässigen Juden als Ziel hatte.

Angemessene Sicht

Globocnik residierte in Lublin und holte sich übrigens eine Reihe von Helfershelfern aus Österreich. Er ließ die drei Vernichtungslager (reine Vergasungsanstalten) Belzec, Sobibór und Treblinka errichten. Der berüchtigte Franz Stangl war zeitweise Kommandant des Lagers Sobibór, zeitweise des Lagers Treblinka. Im Zuge der Aktion Reinhard wurden etwa 1,6 bis 1,8 Millionen Menschen umgebracht, mehr als in Auschwitz.

Es ist dem amerikanischen Historiker Timothy Snyder zuzustimmen, der geschrieben hat: "Eine angemessene Sicht auf den Holocaust müsste die Aktion Reinhard, den Mord an den polnischen Juden im Jahre 1942, in den Mittelpunkt der Geschichte rücken." (Gerald Stourzh, 5.9.2019)