Tamim Fattal war 18, als er seine Heimat Aleppo verließ. Jetzt, vier Jahre später, ist er Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt.

Foto: Jan Frankl

Das Thema Migration schafft es immer wieder auf heimische Bühnen – Schauspieler mit Migrations- oder Fluchthintergrund aber sind dort rar. Tamim Fattal ist eine Ausnahme. Der 22-jährige Syrer aus Aleppo kam 2015 über die Balkanroute nach Österreich – und ist mittlerweile Ensemblemitglied in der Josefstadt. Er spielt ab Samstag in den Migrantigen in den Kammerspielen, einer Dramatisierung von Arman T. Riahis Erfolgsfilm.

STANDARD: Sie sind Ende 2015 nach Österreich gekommen. Hatten Sie es als Schauspieler einfacher als andere Flüchtlinge?

Fattal: Endlich hatte ich die Chance, das Leben zu führen, das ich wollte. Ich wollte Schauspieler werden. Dabei hatte ich in Aleppo nie professionell gespielt, ich habe Straßentheater gemacht, bin in Kurzfilmen von Freunden aufgetreten. Als ich drei Monate in Österreich war, bin ich ins Theater an der Wien gegangen und habe gesagt, ich möchte mitspielen.

STANDARD: Dabei konnten Sie damals weder Deutsch noch Englisch.

Fattal: Nein, die Regisseurin bat mich, zehn Minuten mit einem Glas Wasser zu improvisieren. Danach hat sie gemeint, ich könnte mitmachen. Die Schauspielerei hat mir geholfen, hier Fuß zu fassen und Deutsch zu lernen. Mit schlechten Deutschkenntnissen hätte ich im Theater höchstens einen Ausländer spielen können.

STANDARD: Und das wollten Sie nicht?

Fattal: Ich habe kein Problem, einen Ausländer oder Flüchtling zu spielen – so lange er kein Stereotyp ist. Viele Ausländer auf der Bühne oder im Film sind aber kriminell oder sind gleich Terroristen.

STANDARD: Was haben Sie für Erfahrungen im Theater gemacht?

Fattal: Die Leute dort sind offener, zugänglicher. Man sieht mich als Menschen und nicht als Flüchtling. Bevor ich hierherkam, wusste ich nicht einmal, dass ich jetzt auch in diese Kategorie fallen würde.

STANDARD: Als was haben Sie sich gesehen?

Fattal: Als ich von Aleppo weg bin, war ich 18 und wollte nicht ins Militär. Ich war stolz darauf, zum Krieg Nein zu sagen. Das brauchte viel Kraft, ich musste meine Heimat und meine Familie verlassen. Zum Militär eingezogen zu werden hieß automatisch, in den Krieg zu ziehen.

STANDARD: Sie sind über die Balkanroute nach Österreich gekommen.

Fattal: Ja, ich bin mit dem Schlauchboot nach Griechenland übergesetzt. Ich wusste nicht, wohin es mich ziehen würde. Wien kannte ich nur von einem alten arabischen Lied: Der schöne Abend in Wien.

STANDARD: In Ihrer ersten Hauptrolle im Theater an der Josefstadt, in "Fremdenzimmer" von Peter Turrini, spielten Sie einen syrischen Flüchtling, der von einem Ehepaar aufgenommen wird, er fremdenfeindlich, sie nicht. Haben Sie sich selbst gespielt?

Fattal: Natürlich hatte Samir, so sein Name, auch etwas von mir. Aber ich selbst würde nie zu Fremden übersiedeln, dafür ist mir meine Unabhängigkeit zu wichtig. Ich selbst bin auch offener als Samir.

STANDARD: Unsere Gesellschaft ist so bunt wie noch nie. Wird diese Multikulturalität vom Theater adäquat repräsentiert?

Fattal: Ich weiß, dass das vor einigen Jahren noch nicht der Fall war. Derzeit ändert sich einiges, allein das Faktum, dass ich aus Syrien und Ensemblemitglied in der Josefstadt bin, spricht Bände. Auch, dass wir jetzt Die Migrantigen spielen. Das ist ein Stoff, der viel mit jemandem wie mir zu tun hat.

STANDARD: In dem Stück geht es um Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. Bestätigt man diese damit nicht, auch wenn man über sie lacht?

Fattal: Na ja, es ist eine Komödie. Die Klischees lösen sich am Ende in Luft auf. In Turrinis Fremdenzimmer sitzen wir am Ende wie eine Familie zusammen, ich, ein Syrer, und das Paar aus Österreich. Das macht mich stolz.

STANDARD: Das ist ein sehr idealisierter Blick auf die Verhältnisse ...

Fattal: Natürlich ist das eine Welt, wie wir sie uns in unseren Träumen vorstellen. Es ist wichtig, dass wir das Ideal zeigen. Theater soll die Augen öffnen, deshalb habe ich auch vorgeschlagen, an der Josefstadt Dreck von Robert Schneider zu spielen.

STANDARD: Das ist ein Einpersonenstück über einen ägyptischen Rosenverkäufer, der seit ein paar Jahren in Deutschland lebt.

Fattal: Ja, er hat eine gute Ausbildung, ist intelligent. Derzeit habe ich ja noch einen Akzent, ich dachte mir, den kann ich bei diesem Stück gut benutzen.

STANDARD: Wir haben über Ausländerklischees gesprochen, welche Klischees haben Syrer über Österreicher?

Fattal: Viele denken, dass Österreicher rassistisch sind. Ich glaube das nicht. Und viele finden das österreichische Essen schlecht. Auch ich habe mich an das magere Frühstück immer noch nicht gewöhnt. (Stephan Hilpold, 6.9.2019)