"Du oder Ich", fragt Maria Lassnig 2005 in diesem Selbstporträt mit Pistolen. Den eigenen Körper stellte sie in ihrer Kunst schonungslos dar. Hier zu sehen bei einem Ausstellungsaufbau 2007.

Foto: Archiv Maria Lassnig Stiftung. Courtesy Hauser & Wirth

Maria Lassnig in ihrem Atelier in New York in den 1970ern, hinter ihr das "Selbstporträt mit Stab".

Foto: Archiv Maria Lassnig Stiftung, Foto Maria Lassnig

Maria Lassnigs "Dicke Grüne" von 1961, ein Werk aus ihrer frühen Werkphase der "Strichbilder".

Foto: Maria Lassnig Stiftung

In "Kartoffelpresse" von 1989 stellt Maria Lassnig Gegensätze einander gegenüber: hart und weich, kalt und warm. In dem Bild drücken sich eigene Gefühle des Zerdrücktwerdens aus.

Foto: Albertina, Wien. Sammlung Batliner, Credit Maria Lassnig Stiftung

Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis der Popstar Beyoncé zwecks weiblichen Empowerments vor einer Leinwand von Maria Lassnig posiert. Die Mona Lisa im Louvre? Pah! Wie viel mehr Kraft hat ein Bild Lassnigs! Etwa das Selbstporträt, auf dem sie als sachte Riesin durch New York schreitet. Oder jenes als weiblicher Atlas mit der Last der Welt auf den Schultern. Warum? Weil auch Frauen das können.

Man darf Lassnigs Werke aber nicht darauf verengen. Feminis tische Themen beschäftigten die Malerin dauernd, aber sie war gegen eine Kategorisierung von Kunst nach Geschlecht. "Wenn Frauen sich selbst darstellen, ist es deshalb noch keine spezifisch weibliche Ästhetik", schrieb sie in den 80ern und wollte neben Velázquez und van Gogh bestehen.

Hubert Sielecki

Diesen Sonntag wäre die wichtigste Malerin, die Österreich je hatte, 100 Jahre alt geworden. Die Albertina richtet deshalb eine große Ausstellung aus. Beide eingangs genannten Werke empfangen die Besucher in Ways of Being.

Wechselnde Stile und Wohnorte

Die Schau ist eine Kooperation mit dem Amsterdamer Stedelijk Museum. Weil heuer aber auch Museen in Klagenfurt und Linz Lassnig für ihr Frühwerk feierten, setzt die Wiener Schau später ein als die in Amsterdam. Lassnigs Zeichnungen sieht man in Wien indes nicht, weil erst 2017 eine diesbezügliche Schau im Haus stattfand. Lassnigs Trickfilme, in Amsterdam Teil der 250 Exponate, laufen in Wien wiederum im Filmmuseum – da immerhin auf der großen Leinwand.

"Nur" knapp 80 Werke sind in der Albertina zu sehen. Mehr hätten in der Basteihalle allerdings nicht Platz gehabt. Chronologisch fächern sie das Werk auf. Ein paar Beispiele zeigen, wie Lassnig in den 1950ern Gemälde um Druck- und Spannungspunkte aufbaute, die sie beim Hineinspüren in ihren Körper fühlte. Der Beginn ihrer Körpergefühlsmalerei.

Man kann in der Schau aber nicht nur verschiedene Phasen verfolgen, sondern ebenso Lassnigs wechselnde Wohnorte. Als sie Anfang der 1960er nach Paris ging, blieb sie diesen Sensationen des Körpers auf der Spur, es mischten sich aber immer mehr narrative Elemente darein. Gynäkologie greift etwa auf, dass eine Frau damals zu einem Mann gehen musste, wenn sie zum Arzt wollte. Dieses Ausgeliefertsein und Ohnmachtsgefühl illustriert Lassnig mit einem eckig klaffenden Loch zwischen den Beinen.

Gefährlichkeit des Telefons

Schonungslos ehrlich, verletzlich und verletzt, aber bestimmt sind ihre Bilder. Lassnig hat immer wieder männliche Inhalte der Kulturgeschichte auf sich selbst gemünzt. Während ihrer Jahre in New York ab 1968 entstanden Bilder, die noch in Zeiten von #MeToo Statements abgeben. Als antiker Woman Laokoon kämpft sie erhobenen Hauptes gegen die Schlange. An der Wand gegenüber in der Albertina schlingt sich ihr unterdessen ein Telefonkabel um den Hals: kommunikative Last für den scheuen Geist.

Lassnig legt sogar ihre Lebensentscheidungen vor uns nieder. Dass sie nie eine Familie gegründet hat, bereut sie ein Stück weit in Bildern wie Illusion von der versäumten Mutterschaft und Illusion von den versäumten Heiraten, auf dem sie der vertanen Chance zwar nicht nachhängt, aber grübelt. Sie hat sich ja nicht unreflektiert gegen Heirat entschieden, sondern gewusst, dass eine solche zulasten ihrer Kunst gehen würde. Wohl will sich deshalb auf Froschkönigin zwischen ihr und dem Tier keine Verbundenheit einstellen. Sie drückt es nackt an ihren Schritt. Diese Bilder bilden in der Albertina ein Triptychon verpasster Gelegenheiten. "Drastisch" nannte Lassnig ihre Explizitheit.

Aber genauso imposant sind die Bilder wegen der Freiheit, die sich Lassnig zwischen figürlich und fantastisch nimmt. Die Malerin erklärte ihren Malprozess zweistufig. Sie beginne mit der Körpererfahrung, dann kämen die Weltprobleme dazu, die sie gerade beschäftigten. So reagierte sie auch auf politische Ereignisse, in Atommütter tätscheln 1984 zwei Frauen Bomben auf ihren Schößen.

Dieser Mund, diese Augen, diese Backen!

Quelle der Weisheit zeigt indes ein Wasserbecken zwischen den Beinen einer Frau, auf dem eine Eule sitzt. Ist das banal oder genial? Das gemalte Pendant zum gespielten Witz? Oder eine Studie, wie man mit Farben und Formen ein energetisches Bild erschafft?

Lassnig war sich selbst aber das beste Modell. Weil man sich jede Minute anders fühlt, gäbe es immer Neues zu entdecken. Ständig begegnen wir also ihrem Gesicht: Dieser Mund, diese Augen, diese Backen sind nicht wegzudenken aus der heimischen Bilderwelt.

Lassnig hatte immer wieder Erfolge, aber nicht so große, wie sie wollte. Die rosa Wangen mochten über den skeptischen und komplizierten Geist täuschen, verbal gab sie ihm bereitwillig Ausdruck. Sie war aber "mitschuldig", wollte kein Bild wiederholen und malte daher nie so viel auf einmal, dass Galerien üppig verkaufen konnten.

Erste, Erste, Erste!

Besonders im Alter trennte sie sich sehr ungern von Bildern und war sehr zögerlich, Ausstellungen zuzusagen. Wahrscheinlich wäre ihr der Trubel in der Albertina trotz der Genugtuung ein Graus gewesen. Die Geschäftsuntüchtigkeit traf sich immerhin damit gut, dass Lassnig bescheiden lebte.

Dennoch kam sie 1980 zurück nach Wien. Dass sie sich mangels Geld in New York oft von Haferflocken ernährte, war auszuhalten gewesen. Eine Stelle als Professorin an der Akademie versprach aber mit 61 Jahren Sicherheit. Lassnig war die erste Professorin an einer Kunstuni, erhielt später als erste bildende Künstlerin einen Staatspreis. Der große Durchbruch kam erst 2013 mit dem Goldenen Löwen der Biennale von Venedig, der internationale Boom seit ihrem Tod vor fünf Jahren basiert auch auf geschickter Verwaltung ihres Nachlasses durch die Maria-Lassnig-Stiftung.

Gezeichnet hat Lassnig bis zum Schluss. Den anderen falle nix mehr ein, ihr schon, war sie stolz. (Michael Wurmitzer, 6.9.2019)