Sabine Seymour hat sich mit ihrem Firmenlogo eingekleidet.

Foto: Anna Rose for She’s Mercedes

Sabine Seymour ist leidenschaftliche Golferin, Skifahrerin und Snowboarderin. An jenem Tag, an dem sie vom STANDARD eine E-Mail zur Abklärung von offenen Fragen erhält, reitet sie gerade die Welle irgendwo in der Nähe von Lissabon. Die Antwort muss also warten. Der Sport hat es der Forscherin aber auch beruflich angetan: Vor vielen Jahren schon hat sie für den Sportartikelhersteller Nike Schuhe entwickelt, die technisch so ausgerüstet sind, dass sie Schritte und Kilometer messen können. Aktuell beschäftigt sie sich mit Smart Clothes, also mit Kleidung, die zum Beispiel mit Sensoren ausgestattet ist, und mit der Sammlung von Körper- und Bewegungsdaten von Jugendlichen.

Mittels "Biometric Gamification" will sie die bisher unterrepräsentierte und auch schwer zu erreichende Zielgruppe ansprechen. Nehmen die Jugendlichen an der Studie teil, werden sie mit Tokens in Kryptowährung belohnt. Die können sie zum Beispiel in Onlinespielen nützen oder in reales Geld umtauschen. Seymour ist überzeugt, davon könnten schon bald ganze Wirtschaftszweige profitieren. Kommenden Montag hält sie einen Vortrag in der DBS Academy in der Seestadt Aspern: "Wenn Technik verschwindet: IoT in Kleidung".

STANDARD: Was genau bedeutet denn Smart Clothes?

Seymour: Das reicht von technisch innovativen Materialien über elektronische Schnittstellen und Kommunikationstechnologien, die in die Kleidungsstücke eingearbeitet sind, bis hin zu chemischen und physikalischen Beschichtungen und Bearbeitungen, mit denen gewisse Eigenschaften wie etwa Form und Farbe verändert werden können. Ich selbst beschränke mich aber auf das Gebiet der Sensorik.

STANDARD: Was wollen Sie damit messen?

Seymour: Eingearbeitete Sensoren können alles Mögliche messen: Umweltfaktoren wie zum Beispiel Temperatur und Luftfeuchtigkeit, aber auch biometrische Daten wie etwa Bewegung in Form von Schritten oder Kilometern. In Zukunft wollen wir auch körperliche Gesundheitsdaten generieren. Ansätze dazu gibt es schon heute. Wir arbeiten gerade daran, Allergien zu erkennen, über Patches Schweiß zu analysieren und auf diese Weise Zucker und Hydration zu messen.

STANDARD: Wie genau können diese Werte gemessen werden?

Seymour: Ganz unterschiedlich. Entweder werden Sensoren und Metallfasern in das Kleidungsstück eingearbeitet, also eingenäht, eingewebt oder beschichtet – oder aber man arbeitet mit synthetischen Substraten, mittels derer elektronische Impulse durch das Material geschickt werden. Bei Zellulosefasern kann man in die Pulpe entsprechende Zusätze einarbeiten, man kann aber auch molekulare Veränderungen im Nanobereich vornehmen. Das ist aber noch Zukunftsmusik.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel für die Anwendung nennen?

Seymour: Berufsbekleidung für Feuerwehr, Berufstaucher und Arbeitskräfte auf Ölfeldern und Bohrinseln. Also überall dort, wo hohe Sicherheitsanforderungen nötig sind, um die Menschen zu schützen. Im zivilen Bereich geht es da vor allem um Sport- und Funktionskleidung. Adidas 1 war ein Turnschuh, der den Druck gemessen hat. Für Nike habe ich mit meinem Unternehmen Moondial schon vor vielen Jahren Nike Running und Nike+ mitentwickelt. Und mit Johnson Controls haben wir Autotextilien entwickelt, die erkennen, ob der Fahrer müde wird, denn bei Müdigkeit verändern sich das Sitzverhalten und die Körperspannung.

STANDARD: 2016 haben Sie Ihren Schwerpunkt verlagert und das Unternehmen Supa gegründet. Dabei spezialisieren Sie sich nicht mehr auf die Forschung und Entwicklung von Sensorik, sondern in erster Linie auf die Sammlung vonDaten.

Seymour: Mittels sensorischer Applikationen werden heute schon unendlich viele Daten gesammelt: GPS, Luftdruck, Temperatur, Bewegung, Herzschlag, Blutdruck, Zucker und so weiter. Wir analysieren, wie clean und korrekt diese Daten sind, wie man sie mittels IoT (Internet of Things, Anm.) miteinander verknüpfen kann und welche Aussagen über Umweltbelastungen, über Ernährung, Diabetes, Epilepsie, über chronische Erkrankungen und über gesundheitliche Trigger-Points man daraus ableiten kann. Auch moderne Wohlstandskrankheiten sollen untersucht werden. Unser langfristiges Ziel ist eine Demokratisierung in der Gesundheit.

STANDARD: Wie weit ist das Projekt fortgeschritten?

Seymour: Gemeinsam mit Fila Sport haben wir in New York eine erste Testphase mit hundert Probanden gemacht. Die Daten wurden nun analysiert und kontextualisiert. Leider hat der Datenschutz in den USA keinen hohen Stellenwert. Daher werden wir die Tests nun in Europa fortsetzen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich meinen Lebensmittelpunkt nun nach Wien und Lissabon verlagert habe.

STANDARD: Was genau soll denn mit den gesammelten Daten passieren?

Seymour: Das kommt darauf an. Idealerweise geben die Daten genug Aufschluss, um damit im Sport- und Gesundheitsbereich tätig zu werden.

STANDARD: Sie konzentrieren sich bei der Datensammlung vorwiegend auf Teenager. Warum?

Seymour: Weil es in dieser Generation bis heute keine hinreichenden Daten gibt, die Auskunft über Auslöser für spätere akute oder chronische Erkrankungen geben. Dieses Feld ist noch relativ wenig erforscht. Ein weiterer Grund ist meine eigene Leidenschaft für den Sport. Unsere Probanden sind zwischen 16 und 22 Jahre alt. Gerne auch jünger, wenn die Eltern damit einverstanden sind!

STANDARD: Wie erreichen Sie diese Zielgruppe?

Seymour: Nicht mit klassischen Forschungsmethoden! Es war klar, dass wir etwas Cooles machen müssen, um diese Altersgruppe zu erreichen. Das Unternehmen Supa ist ganz gezielt so konzipiert, dass es junge Leute über "Biometric Gamification" anspricht. Das heißt: Wir verwenden die Daten vom Körper als Game-Controller und animieren sie so zur Bewegung. 1996 habe ich schon einmal einen Helm als Game-Controller gebaut, mit dem man Bildschirme über Körperbewegung steuern konnte.

STANDARD: Sie lassen die Jugendlichen für Sie arbeiten. Wie werden sie dafür entlohnt?

Seymour: Mit digitalen Tokens. Diese können die Probanden je nach Lust und Laune in reales Geld oder andere Gegenleistungen umtauschen. Die Honorierung mittels Daten, das sogenannte Tokenizing, entwickelt sich mehr und mehr zu einem attraktiven Bezahlsystem. Davon werden eines Tages auch andere Branchen profitieren können.

STANDARD: Wie kann man sich das vorstellen?

Seymour: Nichts ist gratis! Auch wenn es so scheint. Schauen Sie sich einmal eine App auf dem Smartphone an! Wir bezahlen diese App mit Geld, Zeit oder Daten – also mit einer Gebühr, mit dem Konsumieren einer Werbeeinschaltung oder mit der Weitergabe persönlicher Daten. Ich bin davon überzeugt, dass man in einigen führenden Tech-Citys mit Tokens schon bald Autos leasen, Wohnungen mieten und Dienstleistungen einkaufen wird können.

STANDARD: Kommenden Montag halten Sie einen Vortrag in Wien. Sie werden darüber sprechen, was Proptech und Smart Buildings von der Hightechbranche lernen können. Was denn zum Beispiel?

Seymour: Was meine Anknüpfungspunkte zur Modewelt betrifft, so denke ich, dass Smart Clothes, sensorische Kleidung und smarte Wearables einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung und den Betrieb von Smart Buildings leisten können. Auch ein Smart-Home-Health-Hub wäre eine schöne Idee. Und was die Daten betrifft, so wäre eine intelligente und auch sinnvolle Nutzung das Thema – "Tokenizing Real Estate".

STANDARD: Wohnungskauf mittels Daten?

Seymour: Ja! Es gibt immer mehr Menschen, die sich das Mieten und Kaufen von Immobilien kaum noch leisten können. Wer kein finanzielles Kapital auf die Seite geschaufelt hat, könnte stattdessen sein Datenkapital einsetzen, um beispielsweise Wohnraum zu erwerben. Der Bedarf nach Daten ist enorm.

STANDARD: Wird es so etwas irgendwann einmal wirklich geben?

Seymour: Nicht irgendwann, sondern sehr bald, und zwar hunderttausendprozentig! Wahrscheinlich nicht in Wien, denn das Mietrechtsgesetz ist zwar sehr sozial, aber auch träge. Aber in dynamischen Städten wie London, Tel Aviv, Kapstadt, Sydney oder Hongkong, in denen die Wohnkosten explodieren, braucht es dringend neue Modelle. (Wojciech Czaja, 8.9.2019)