Als wir im vergangenen Jahr Helmut Rauch um ein Interview zum 50-Jahr-Jubiläum des Wissenschaftsfonds FWF baten, war er wie immer sehr höflich, aber auch zögerlich. Gerade so, als würde er bescheiden sagen wollen: "Habt ihr keinen Besseren gefunden?" Natürlich hat er diesen Satz nicht gesagt. Wir hätten auch mit Sicherheit keinen interessanteren Gesprächspartner als ihn finden können, zumal der international anerkannte Kernphysiker jahrelang im Präsidium des FWF, Österreichs größtem Förderer von Grundlagenforschung, tätig war und ihn dabei auch entscheidend prägte: ab 1985 als Vizepräsident, von 1991 bis 1994 als Präsident.

Helmut Rauch 2018 im Wiener Atominstitut.
Foto: Corn

In dieser Zeit entstanden die Spezialforschungsbereiche (SFB), ein Exzellenzprogramm, um Wissenschaftergruppen mehr Geld zu geben, die das Potenzial dazu hatten, bahnbrechende Paper zu publizieren. Bis heute sind sie ein zentraler Bestandteil im Förderportfolio des FWF. Aber es wäre nicht Rauch, hätte er im Interview nicht betont, in diesem Zusammenhang nie eine Position angestrebt zu haben. Er habe sich nicht darum gerissen, ins Präsidium zu kommen. Man könne sich aber auch nicht verwehren, wenn man gerufen werde.

Über den Tellerrand

Wahrscheinlich war es Rauchs Eigenschaft, stets über den eigenen Tellerrand zu schauen, die ihm in der damaligen Zeit zum idealen FWF-Chef machte. Das Denkbare endete für ihn nie in seinem eigenen Fachgebiet. Als Physiker wagte er sich in die Kern- bzw. in die damals noch nicht florierende Quantenphysik. Und als Universitätslehrer war er bereit, die Grenzen zwischen Physik und Philosophie zu durchbrechen und hatte, wie ehemalige Studierende bestätigen, immer ein Ohr für gedankliches Experimentieren im Auditorium. Er dachte nie hierarchisch, maß den Worten einer Studentin oder eines Studenten genau die gleiche Bedeutung bei wie denen eines Professors.

Rauch war ein sehr beliebter Vortragender. Unter seinen Schülern waren Studenten, die er mit seiner Begeisterung ansteckte, zum Beispiel der Quantenphysiker Anton Zeilinger, heute Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Auf die Frage, ob er etwas in seinem Leben bedaure, soll Rauch einmal gemeint haben, dass er gern mehr wissenschaftlich gearbeitet hätte. In seiner Zeit im FWF-Präsidium war ihm das natürlich nicht vergönnt, als langjähriger Vorstand des Atominstituts der TU Wien (1972 bis 2005) war er auch mit administrativen Arbeiten beschäftigt. Mit diesem Institut war er schon seit den 1960er-Jahren verbunden, hier promovierte der gebürtige Kremser. Beim Interview im vergangenen Jahr erkannten wir, dass das Atominstitut sein Leben und sein geistiges Zuhause war. Wie einer, der alle Winkel eines Gebäudes kennt, führte er uns herum und zeigte auch den in Österreich einzigen aktiven Reaktor.

Vater des Erfolgs

Helmut Rauch, der Grenzen überschreitende Physiker, gilt aber auch als einer der Väter des Erfolgs österreichischer Wissenschafter in der Quantenphysik. Das liegt vor allem an einem Experiment, das ihm 1974 gelang und auf Vorschlagslisten für den Physiknobelpreis gebracht haben soll. Damals glückte der Nachweis, dass Neutronen quantenphysikalische Eigenschaften haben. Dabei wurden Teilchen auf ein aus Siliziumkristallen hergestelltes Interferometer geschossen. Beim Durchlaufen der Apparatur verhielten sich die Teilchen wie Wellen: Ihre möglichen Wege teilten sich und überlagerten sich wieder. Überträgt man das Ergebnis in den Makrokosmos, dann stößt man an die Grenzen des Vorstellbaren: ein Mensch, der gleichzeitig durch zwei Türen geht? Nicht denkbar, oder?

Das Medieninteresse wurde erst angeheizt, als Rauch und sein Team vom Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble eingeladen wurden, das Experiment zu wiederholen – und scheiterten. Das lag aber nicht an der wissenschaftlichen Qualität, sondern an Gebäudeschwingungen, die in Grenoble von Kühlpumpen des großen Reaktors und der nahen Autobahn kamen und den Versuch störten. Rauch meinte einmal, froh zu sein, dass es damals im Umkreis des Instituts in Wien keine U-Bahn gab.

Wie erst am Donnerstag bekannt wurde, ist Helmut Rauch (80) am 2. September nach kurzer Krankheit verstorben. (Peter Illetschko, 5.9.2019)