Matthias Strolz im Vorjahr im Wiener Szeneclub Flex bei der Vorführung einer technoartigen Komposition (von Produzent Kurt Razelli): Die Pilotenbrille war damals schon auf der Pilotennase.

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Nur wenige Kongresse im Herbst führen ihn nicht auf der Speaker-Liste: Matthias Strolz, vor eineinhalb Jahren von der politischen Bühne getreten, hat sich neu erfunden – und positioniert. Sei Pilot deines Lebens heißt sein aktuelles Buch (Brandstätter-Verlag), das der Anker für sein aktuelles professionelles Ich als "Portfolio-Unternehmer" ist. Was das bedeutet? "Ich bin ein Gärtner des Lebens und kultiviere soziale Felder. Ich liebe es, wenn Potenziale in die Entfaltung kommen und wenn ich gemeinsam mit anderen Menschen Lösungen entwickeln kann; oder Formen und Gefäße für das Gute, Wahre und Schöne." Konkret heißt das: Leadership- und Organisationsberatung, Tätigkeit als Autor, Vortragender und Medienschaffender.

Das kann er gut

Der Ex-Neos-Chef beweist mit der Inszenierung seines neuen Berufslebens, dass er ein wirklich hervorragender Marketer und Sales-Mensch in eigener Sache ist. Er braucht die Bühne, und er kann die Bühne. Und ja, er hat Botschaften, die auf große gegenwärtige Sehnsüchte treffen, ganz archaisch: Wer bin ich, wohin soll ich gehen, wer will ich sein? Im Buch beantwortet Strolz all das klassisch mit seiner eigenen Heldenreise, er startet nach seinem Ende in der Politik mit einem Ayurveda-Retreat in Indien, mit Reinigungsritualen, mit Erbrechen, mit selbst erzwungenem Hinterfragen der für seine Politikerrolle angenommenen Lebensdogmen.

Schreiben kann er auch richtig gut – gefühlt eines von 1000 Beraterbüchern nimmt sich auch nur annähernd so viel Mühe und Herzblut, abgesehen von den jeweiligen eher quälenden üblichen Ergebnissen. Strolz mixt die Szene mit den Glaubenssätzen, die er ab nun auf den Bühnen vertreten wird, etwa "Wir sind Piloten unseres Lebens" oder "Die Irritation ist die Mutter der Innovation" oder mit Imperativen wie "Drop your ego!". Dazu hat er, für alle, die es so benötigen, ein Fünfphasenmodell zur Selbstbefreiung und Neuerfindung entwickelt. Klar, Loslassen ist eine Dimension. Aber: Platt und durchsichtig ist nichts davon, vielleicht eklektizistisch zusammen getragen – das darf gelten, weil er sich selbst mit seinen Anstrengungen zur Verfügung stellt.

DER STANDARD war beim Konzert im Flex im Oktober letzten Jahres mit der Kamera dabei
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Wie eine Heldenreise

Strolz kann das Coaching-Geschäft, er kann das Ansprechen, und er tut es und nützt diese Gabe. In der Beschreibung seiner Heldenreise inklusive Selbstbeobachtung verpackt er gut und geschickt, was alle irgendwann irgendwie trifft – Punkte im Leben, an denen ein neues Kapitel beginnt, beginnen muss, oder ein altes Kapitel abreißt. Insofern: Das Publikum für die neue Betätigung ist breit und gar nicht auf Zielgruppen beschränkt.

Ein Teil des Publikums wird eventuell schnell "Ach, wie esoterisch!" sagen und sich wegdrehen. Schade. Weil es Strolz um die Weltverbesserung via Selbstverbesserung geht. Nicht im Sinne des Optimierens, sondern im Sinne des sich selbst Findens. Logisch also, dass Achtsamkeitsübungen gekonnt eingestreut sind, die Liebe als das Wichtigste heraus gestrichen wird und es um das Verbreiten von Good Vibes geht.

Er hat viel vor – und sich offenbar auf Gegenwind eingestellt, denn er schreibt: Liebe bedeute auch, sich den Gefühlen anderer auszusetzen. (kbau, 9.9.2019)