Nach Kärnten kam die Katastrophe im Herbst 2018, als das Sturmtief Vaia in Europa wütete. Hochwasser, Murenabgänge und Waldschäden machten aus Österreichs südlichstem Bundesland ein Katastrophengebiet.

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Sturmholz am Obergailer See aufklauben, einen defekten Holzsteig über einen Bach herrichten, umgestürzte Bäume vom Ararischen Weg wegräumen, einen Bachweg unterhalb der Steinwand für Mensch und Tier wieder begehbar machen. Da gehört das Markieren der Wanderwege noch zu den einfachen Aufgaben.

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Am Wolayersee in knapp 2.000 Meter Höhe scheint die Welt in Ordnung zu sein. Von den Sturmschäden ist nichts zu sehen.

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Liesing im Lesachtal am Abend der Ankunft: Der Katastrophen-Josef, wie er im Tal liebevoll genannt wird, erklärt die Arbeitseinteilung. Mit mir sind es sechs Helfer, die unter der Führung von Bergbauern in drei Gruppen arbeiten werden. Ohne diese läuft hier gar nichts. Sie sind die Experten. "Sechzig Freiwillige waren seit März da, darunter auch Engländer und Amerikaner", sagt der Katastrophen-Josef enthusiastisch. "Die Leute fahren alle sehr zufrieden wieder nach Hause, wegen der körperlichen Betätigung in der Natur – und weil sie etwas Sinnvolles getan haben". Worin diese sinnvolle Tätigkeit besteht?

Abgeschiedenes Wandergebiet

"Wanderwege sanieren bei freier Kost und Logis im Lesachtal" – so stand es in der Anzeige, die mir eine Freundin aus Kärntner Kindertagen per Whatsapp geschickt hat mit dem Vermerk: "Falls du mal wieder Urlaub in Kärnten machen willst – Smiley". Im Klartext wird das wohl bedeuten, körperlich zu arbeiten, auf dem Berg und im Wald. Von Urlaub kann höchstens die Rede sein, wenn ich wieder über die Wege des Lesachtals gehen kann, die ich von früher kenne, die aber erst saniert werden müssen. Es ist ein abgeschiedenes Wanderparadies am Karnischen Hauptkamm, wo die Zeit gefühlt langsamer vergeht, weil noch immer die Natur und nicht die Digitalisierung das Leben der Menschen bestimmt.

Der Gedanke, einmal nicht als Touristin in die Lebenswelt des naturbelassenstes Tal Europas – wie es sich selbst vermarktet – einzutauchen, ließ mich nach dem Lesen der Anzeige jedenfalls nicht mehr los. Und mit einigen Outdoor-Hobbies fühlte ich mich auch als Städterin fit genug für dieses Abenteuer.

Arbeit auf Abruf

Nun ist es im digitalen Zeitalter Usus, seinen Urlaub minutiös vorab zu planen und zu jeder Tages- und Nachtzeit über das Internet zu buchen. Das gibt zu 100 Prozent Gewissheit, wann man wo sein wird und in welchen Pool man springt – kurz, was einen erwartet. In Liesing erfahre ich dagegen erst vor Ort vom Katastrophenreferenten Josef Salcher, dass noch nicht einmal klar sei, wann der Arbeitseinsatz erfolgen würde. Es hinge vom Wetter und der anstehenden Heuarbeit der Bauern ab. Ich solle mir aber keine Sorgen machen, denn Arbeit gäbe es genug.

"Keine Sorgen", das klingt schon mal gut. Meine Restzweifel, ob ich wirklich am richtigen Ort sei, weil ich kein Profi an der Seilwinde oder mit der Motorsäge bin, zerstreut der Katastrophen-Josef mit einem kärntnerisch gechillten: "Passt scho’!".

Mammutaufgabe

Nach Kärnten kam die Katastrophe im Herbst 2018, als das Sturmtief Vaia in Europa wütete. Hochwasser, Murenabgänge und Waldschäden machten aus Österreichs südlichstem Bundesland ein Katastrophengebiet. Allein im Lesachtal belaufen sich die Gesamtschäden auf 34 Millionen Euro. Eine halbe Million Festmeter Schadholz (knapp ein Drittel der gesamten Schadholzmenge in Kärnten) ist aus dem engen Tal zu räumen – für die Bauern ein Verlust von rund 14 Millionen Euro.

Bei der Sanierung der Wanderwege setzt das Lesachtal erstmals auf freiwillige Helfer. Auch, weil die Mammutaufgabe allein nicht zu bewältigen ist. Damit trifft die Gemeinde den Zeitgeist von nachhaltigem Tourismus und verbindet das Nützliche mit dem Angenehmen.

Unwirklich schön

Sturmholz am Obergailer See aufklauben, einen defekten Holzsteig über einen Bach herrichten, umgestürzte Bäume vom Ararischen Weg wegräumen, einen Bachweg unterhalb der Steinwand für Mensch und Tier wieder begehbar machen. Das sind die Aufgaben der nächsten zwei Tage für meine Teamkollegen Herbert aus Villach und Christian aus Wien, die schon zum zweiten Mal dabei sind, und mich selbst.

Mit Georg, dem Bergbauern, geht es am frühen Morgen im Auto auf die Obergailer Alm. Morgentau spiegelt regenbogenfarben im Gras, zwei Noriker-Pferde grasen friedlich. Unwirklich schön ist das Tal, in das Vaia letzten Herbst tiefe Wunden geschlagen hat. Umgeknickte Bäume liegen am Hang, zum Gamskofel hin hat der Sturm sieben Hektar Wald einfach abrasiert.

Wettlauf mit dem Käfer

Nach dem Sturm im vergangenen Herbst, sagt Georg, habe er lange nicht schlafen können: "Diese Schäden sind nachhaltig."Aus seinem Mund klingt das Wort nicht nach blasser Worthülse. Es hat Gewicht. "Für das Holz gibt es keinen Preis mehr, und wir sind im Wettlauf mit dem Borkenkäfer. Bis alles wieder so ist, wie es war, wird es gut 70 Jahre dauern, und mit dem Aufforsten werden noch die nächsten zwei bis drei Generationen beschäftigt sein."

Mit Rechen ausgerüstet, haben Herbert und ich gut 100 Höhenmeter Aufstieg vor uns. Oben am See werden wir von neugierigen Kälbern begrüßt. Die nächsten Stunden machen wir nichts anderes, als abgerissene Äste zu stapeln. Schon bald kommen die ersten Wandertouristen und schauen uns bei der Arbeit zu. Keck spreche ich einen jungen Mann an: "Mogst a bissl helfen? Dos is nochholtiger Tourismus, wenn ma olle a bissl zomtuan." Wenn nur jeder zweite Wanderer, die hier heraufkommt, eine halbe Stunde lang mit anpackt, ist in Summe viel getan.

Irgendwann fallen die ersten Regentropfen, und die Arbeit muss unterbrochen werden. Flexibilität ist gefragt. Auf dem Rückweg zieht ein Steinadler seine Kreise über den leuchtenden Almrauschhängen. Einen Moment lang vergesse ich die Sturmschäden. Immer wenn es regnet, beginnt für uns Freiwillige der Urlaub. (Dorothee Neururer, 8.9.2019)