Gänse sind streitbare Tiere: Hier verscheucht ein Ganter mit seinen Kindern eine Artgenossin.
Foto: Georgine Szipl

Wien/Grünau – An der zur Uni Wien gehörenden Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal wird seit den 70er Jahren das Verhalten von Graugänsen (Anser anser) studiert. Das jüngste Ergebnis dieser Forschungen wurde nun im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht. Es dreht sich um das Sozialverhalten der Tiere in jungen Jahren – und wie sich dieses auf ihren späteren Lebenserfolg auswirkt.

Hintergrund

Graugänse leben in Scharen mit komplexer Sozialstruktur. Die Gruppengröße variiert dabei je nach Jahreszeit: Im Herbst schließen sich die Gänse zu einer großen Schar zusammen, zum Ende des Winters lösen sich die Paare zur Paarungszeit von der Schar und bleiben auch während und nach der Brutzeit zu zweit zusammen. Unverpaarte Tiere verbleiben hingegen in größeren Gruppen zusammen.

Im Herbst müssen sich die Jungvögel mit Hilfe ihrer Eltern in die Winterschar integrieren. Diese große Gruppe bietet Schutz, aber es kommt auch vermehrt zu Aggressionen zwischen Tieren und damit Stress.

Einführung in die Gänsegesellschaft

Die Verhaltensbiologinnen Didone Frigerio und Georgine Szipl haben nun 44 ein- bis dreijährige Graugänse zu verschiedenen Jahreszeiten beobachtet und untersucht, wie sich deren Eingliederung in die Gruppe auswirkt. Im Lebenszyklus der Gänse entspricht diese Altersgruppe in etwa der menschlicher Teenager und Twentysomethings.

Es zeigte sich, dass die Tiere in der Winterschar stärker vernetzt waren als während der Paarungs- und Brutzeit und dass sich die einjährigen Gänse stärker vernetzten als zwei- und dreijährige Vögel. Die Vernetzung war dabei aber weniger freundschaftlich, sondern primär "aggressive Interaktion und zeigte sich vor allem in Streitereien, durch pecken, drohen, verjagen", so Szipl.

"Wenn ich dichter in der Gruppe stehe, habe ich mehr Stress, weil ich meine Position verteidigen muss." Entsprechend höher war auch der Stresslevel der Tiere. Diesen kann man anhand der im Kot gemessenen Stoffwechselprodukte des Stresshormons rekonstruieren.

Nachhaltiger Effekt

Die beiden Wissenschafterinnen vermuten, dass dies die Folge einer Rangordnung sein könnte, die sich im Herbst und Winter zwischen den Gruppenmitgliedern ausbildet. Diese Positionierung innerhalb der Gruppe dürfte bereits bei den einjährigen Jugendlichen festgelegt werden. "Die frühe Etablierung der Position innerhalb der Winterschar hat also vermutlich einen direkten und nachhaltigen Effekt, und die Rolle der Gans in der Gruppe während der folgenden Jahren könnte Resultat ihres anfänglichen Status sein", sagt Szipl.

Die Forscherinnen untersuchten auch, ob es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Vernetzung in jungen Jahren und dem reproduktivem Erfolg einige Jahre später gibt. Und das scheint auch der Fall zu sein: Stärker vernetzte Gänse unternahmen früher Brutversuche als weniger stark vernetzte Individuen, wie die Beobachtungen zeigten. "Und sie hatten einen höheren Bruterfolg, also mehr flügge Küken", so Szipl.

Die Biologin vermutet einen direkten Zusammenhang mit der Rangordnung in der Gruppe: "Wenn ich eine gute Position in der Gruppe habe, weil ich in der Mitte stehe, weniger Feinddruck habe und mehr zu fressen bekomme, weil ich dominant bin, dann habe ich Vorteile daraus." (red, APA, 7. 9. 2019)