Der Essayist Wolfgang Müller-Funk warnt im Gastkommentar vor den Klimakatastrophen-Warnern. Weltuntergangsstimmung sei nicht angebracht.

Was man als die zweite ökologische Wende bezeichnen könnte, hat mit höchst professionellen öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Fridays for Future begonnen. In Scharen strömen Schülerinnen und Schüler, die Kinder der ersten Ökogeneration, unterstützt von Umweltaktivisten und Klimaforschern auf die Straße. Die Erzählung, die mit dieser Kampagne einhergeht, ist mobilisierungstechnisch perfekt. Die bisher unpolitischen Kinder, die unschuldigen Opfer der drohenden Klimakatastrophe, gehen auf die Straße, beschämen uns und vor allem die untätige Politik, die nichts weiterbringt. Mehr Druck lässt sich kaum aufbauen.

Die Erzählung hat freilich ein paar Schönheitsfehler. Nicht nur sind die ökologischen Fußstapfen reise- und konsumfreudige junger Menschen höher als jene der älteren Generation. Vielmehr verdeckt sie auch die Tatsache, dass die wirkliche oder vermeintliche Untätigkeit der Politik tiefere Ursachen hat, die mit nationalen und internationalen Interessenkonflikten, mit unserem Lebensstil und mit unserer Produktionsweise zu tun haben.

Eine Schere zwischen der Dringlichkeit zu handeln und der Zeit, die nötig wäre, unsere Lebens- und Produktionsweise nachhaltig zu verändern, tut sich auf.
Illustration: Michael Murschetz

Was die gegenwärtige Diskussion um den Klimaschutz ausblendet, sind die vier Jahrzehnte Erfahrungen, die wir mit ökologischen Maßnahmen und Umweltpolitik haben. Die Bilanz nimmt sich, ungeachtet positiver Reparaturmaßnahmen – Wiederaufbereitung von Müll, biologischer Landbau, Gewässerschutz, Nationalparks, Alternativenergien, Verkehrsberuhigung, Radwege, Umweltverträglichkeitsprüfungen – einigermaßen ernüchternd aus. Noch immer leben wir in einer hemmungslosen Wegwerfgesellschaft, die ungeheure Mengen Verpackungsmaterial aus Plastik produziert und noch immer ist individuelle Mobilität Ultima Ratio. Noch immer transportieren wir Waren, nicht nur Lebensmittel, sondern auch neue Autos mit umweltschädlichen Lastern. In den letzten Jahren haben wir das Eisenbahnnetz nicht etwa ausgebaut, sondern im Geist der Neuen Ökonomie, von löblichen Ausnahmen (Schweiz, Niederlande) abgesehen, überall reduziert.

Widersprüchlichkeiten ...

Vordergründig ist das einer Politik anzulasten, die zaudert, zögert, sich nichts traut. Aber dahinter steckt unsere eigene Widersprüchlichkeit. Das Lippenbekenntnis für die Umwelt und die Sympathie für Greta Thunberg kommt leicht von den Lippen, unseren aufwendigen Lebensstil wollen wir indes nicht im Geringsten verändern. Dass das ökologisch keineswegs unbedenkliche Elektroauto (Feinstaubbelastung, Produktion und Entsorgung der Elektrobatterien, Vermehrung des Energiebedarfs) zum umweltschonenden Wunderwuzzi avanciert, spricht für sich. Das E-Auto verspricht, dass es so weitergehen kann wie bisher. Die heutige materialintensive Produktionsweise des immer größeren und schnelleren Verbrauchs, die unabdingbare Voraussetzung für das magisch zelebrierte Wirtschaftswachstum, steht quer zum kategorischen Imperativ der Ökologie, die Dinge unseres Lebens (Kleidung, Auto, Möbel, elektronische Gerätschaften) möglichst bis ans Ende ihrer Tage zu benutzen. Aufschlussreich ist die Haltung der sozialdemokratischen Kanzlerkandidatin Pamela Rendi-Wagner, die soeben den Klimaschutz für sich entdeckt hat. Gewiss, der CO2-Ausstoß soll verringert werden, aber auf keinen Fall durch entsprechende Steuern. Auch das Schnitzel, Stolz österreichischer Esskultur, darf nicht, den ökologischen Kosten entsprechend, teurer werden. Gelb- oder Braunwesten will die hiesige Politik nicht haben.

Eine Schere zwischen der Dringlichkeit zu handeln und der Zeit, die nötig wäre, unsere Lebens- und Produktionsweise nachhaltig zu verändern, tut sich auf. Schon die erste ökologische Wende operierte mit dem apokalyptischen Narrativ der drohenden Weltkatastrophe. Wenn nicht sofort etwas geschieht, droht das Ende. Damals war es der Wald, für dessen Überleben es fünf vor oder gar fünf nach zwölf war. Bekanntlich ist das Waldsterben nicht in der dramatisch prognostizierten Form eingetreten, dass es sich mit dem KIimawandel ähnlich verhält, muss man hoffen dürfen. Die Erderwärmung ist zweifelsohne von einer falschen Lebens- und Produktionsweise verursacht, aber das Klima hat sich in früheren Jahrhunderten auch ohne menschlichen Einfluss verändert. Heute sprechen zum Beispiel einige Klimaforscher von einer kommenden Eiszeit – das erschwert die Prognostik zusätzlich.

... und Schnellschüsse

Das gegenwärtig reaktualisierte apokalyptische Narrativ erzeugt politischen Handlungsdruck. Es verführt indes zu Kurzschlüssen und Schnellschüssen, erzeugt Panik und Pessimismus. "Du musst Dein Leben ändern", heißt es bei Rilke. Mit rein technischen Maßnahmen wie der Förderung umweltschonender Massenverkehrsmittel, steuerlichen Lenkungsmaßnahmen, dem Erhalt und Ausbau von Wäldern oder der Reduktion von Mobilität ist den ökologischen Problemen allein nicht beizukommen. Angesichts der Komplexität unserer Gesellschaft wird die globale Durchsetzung solcher Maßnahmen überdies Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Das gilt noch weit mehr für die damit verbundenen Veränderung von Lebensweisen und den Umbau einer Marktwirtschaft, die den Namen ökologisch verdient.

Demokratie ist eine Form friedlichen Austragens von Interessengegensätzen, naturgemäß langsam und zeitraubend. Der Wandel von Lebensformen lässt sich kulturwissenschaftlich betrachtet politisch nicht verordnen, er vollzieht sich vielfach über einen längeren Zeitraum. Es lässt sich nichts übers Knie brechen, es sei denn, man will soziale Konflikte und Katastrophen in Kauf nehmen, die weder dem sozialen noch dem natürlichen Klima guttun. (Wolfgang Müller-Funk, 7.9.2019)