Von Jahr zu Jahr deutlicher zeigt sich bei der Ars Electronica, dass die digitale Kunst "erwachsen" wird

Foto: : Bruno Gomes, Mulungu, Ceará (BR) The Karapotó Plak-ô Indigenous Community, São Sebastião, Alagoas

Die "Machine to Support the Starving Artist" von Timm Burkhardt druckt fiktive Belege für Künstlerbedarf aus – wie jene, mit denen sich Künstler Unterstützung und Rückzahlungen vom Staat holen können.

Foto: Timm Burkhard

Mit dem "UngebauBot", der absichtlich Fehler macht, wollen Ilmar Hurkxkens und Fabian Bircher die Sympathie für Roboter erhöhen.

Foto: Ilmar Hurkxkens, Fabian Bircher

Der Aufsatz "Alias" lässt Sprachassistenten nur dann mithören, wenn man ein Codewort nennt. Damit verhindert er Lauschattacken. Er ist heuer einer der beiden Gewinner des Starts-Preises.

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Roboter Roboy kann in der selbst ernannten Republik Uzupis Einbürgerungen vornehmen. Max Haarich ist Botschafter dieser Republik in München und plädiert in Linz für verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz.

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Sprechen Sie Marsianisch? Wenn ja, dann haben Sie das mit Catherine-Élise Müller, Deckname Hélène Smith, gemeinsam. Und mit der 1983 in Finnland geborenen Künstlerin Jenna Sutela, die zurzeit ihre Videoinstallation nimiia cétiï bei der Ars Electronica zeigt. Passend im außerirdisch wirkenden Bunker der Linzer PostCity, wo übersinnliche Kräfte wirken: Sobald das Publikum eine bestimmte Tür mitten im Ausstellungsparcours durchschreitet, gibt’s kein Zurück mehr. Dafür sorgt ein Berg von einem Mann, wenn nötig auch mit körperlichem Einsatz.

Smith (1861–1929) war eine Berühmtheit als parapsychologisches Medium, das sich in Kontakt mit Marsbewohnern wähnte, ein Liebling der Surrealisten und eine Patientin des Schweizer Psychologen Théodore Flournoy. Dessen Werk sei allen wärmstens ans Herz gelegt, die schon J. R. R. Tolkiens Elbisch können und jetzt auch Marsianisch lernen wollen.

Kunstsprache trifft auf Bacillus

Damit allein gibt sich Jenna Sutela allerdings nicht zufrieden. Vielmehr bringt sie die von Müller/Smith in spiritistischen Séancen erflossene Kunstsprache auf ihrem Computer mit den Bewegungsmustern des Bacillus subtilis natto zusammen. Nattô ist echten Fans japanischer Küche als gesunde Sojabohnenbeilage bekannt. Darin sorgt das Bakterium, das auch unter Mars-Bedingungen überleben können soll, für das Aroma und die charakteristische Konsistenz.

Nicht nur diese Zutaten machen nimiia cétiï zu einem herausragenden Werk bei der Ars-Ausstellung Human Limitations – Limited Humanities: Auch ohne Hintergrundwissen wirkt dieser audiovisuelle Geniestreich mit seinen jenseitigen Sounds, rätselhaften Schriftkrakeln sowie wahnhaften Kamerafahrten durch eine Fantasie-Marslandschaft formvollendet. Bei näherem Hinsehen, dann aber auf Anhieb, erinnert nimiia cétiï an Dietmar Daths wunderbaren Science-Fiction-Roman Feldeváye, in dem unter anderem mithilfe von Viren die Kunst der Zukunft imaginiert wird.

Kein reines Kunstfestival

Von Jahr zu Jahr deutlicher zeigt sich bei der Ars Electronica, dass die digitale Kunst "erwachsen" wird. Jenseits der Dominanz technischer Nerds bilden sich immer öfter anarchistisch anmutende Gebilde, die weder die "Welt verbessern" sollen noch sich als Futter für die nach profitablen "Innovationen" hechelnde Industrie andienen. Das Publikum muss sich nur permanent vor Augen führen, dass die Ars kein reines Kunstfestival ist, sondern ein mit künstlerischen Positionen durchsetztes Hybrid aus Technikschau mit Anschluss für die Wirtschaft, gesellschaftlichem Diskursapparat, Forschungsplattform sowie Popkulturevent.

Witz hat das Festival allemal, ob nun mit Emanuel Gollobs choreografierter Roboterskulptur Doing Nothing with AI, die den Hype um die künstliche Intelligenz ironisiert, dem körperverzerrenden tx-mirror von Martin Reinhart und Virgil Widrich oder einer leider nicht adäquat präsentierten Maschine, die auf Gott wartet des Deutschen Hannes Waldschütz. Darüber hinaus präsentiert die diesjährige Cyberarts-Ausstellung im Offenen Kulturhaus beeindruckende Arbeiten von Prix-Ars-Electronica-Gewinnern. Herausragend dabei ist die In stallation Manic VR, mit der die Kanadierin Kalina Bertin in die Welten ihrer beiden manisch depressiven Geschwister führt – was ihr die Goldene Nica im Bereich Computeranimation einbrachte.

Missbrauch von Technologie

Und was ist mit dem aktuellen Festivalthema, der Midlife-Crisis der digitalen Revolution? Die Auswahl der künstlerischen Beiträge jedenfalls berührt es kaum, sodass klar wird: Angesprochen sind hier die Protagonisten aus den Konzernen und Politiker, die wie jene in China an der Installation von Überwachungsdiktaturen werken. In der dem Thema entsprechenden European Platform for Digital Humanism zugeordneten Ausstellung wirken die dort zusammengedrängten künstlerischen Arbeiten wie korrigierende oder konterkarierende Statements zum Missbrauch der digitalen Technologie.

Der Begriff Midlife-Crisis wurde 1957 von dem kanadischen Psychoanalytiker und Organisationsentwickler Elliott Jaques eingeführt. Just in dieses Jahr fiel auch die Gründung der ARPA-Agentur in den USA. Sie entwickelte ab 1968 eine Urform des Internets, die dann vor nun genau 50 Jahren mit vier Rechnern online ging. Das war, könnte man sagen, die Geburt der digitalen Revolution.

Kritik am digitalen Sturm und Drang

Altersmäßig geht sich’s aus: Von Mittlebenskrisen werden nach allgemeiner Sicht vor allem 40- bis 60-Jährige heimgesucht – wenn gereifte Männer sich in Lederhäute stopfen und mit nagelneuen Harleys über herrliche Highways hetzen. In Bezug auf die bisherige Treibjagd durch die digitale Technologie besagt diese Metapher, dass sich über die "digitalen Träume" – so ein Ars-Thema von 1990 – von einst albdruckhafte Schatten zu legen begonnen haben.

Doch auch schon vor fast 30 Jahren gab es deutliche Kritik an den Wegen, die der digitale Sturm und Drang damals einschlug. Im Ars-Electronica-Katalog der digitalen Träumer schrieb die Videokünstlerin Friederike Pezold dagegen an, "alles zu machen, was technisch machbar ist, und sei es noch so idiotisch". Das sei "nicht nur eine Geisteskrankheit der elektronischen Kunst", sondern überhaupt eine des 20. Jahrhunderts. Für die manischen Cyber-Nerds, virtuell erleuchteten Utopisten und Daten-Businessmen mit den Dollarzeichen in den Augen waren das – marsianische Worte. (Helmut Ploebst, 7.9.2019)