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Opposition ist für die SPÖ Mist, Kurz vielleicht der Untergang

von Gerald John

Es wird keine Liebesentscheidung. Weil sich die rot-grün-pinke Wunschkoalition nicht ausgeht und ein Pakt mit der FPÖ tabu ist, wird sich die SPÖ entscheiden müssen, welche Option sie weniger hasst: Weiterdarben in der Opposition oder Juniorpartner von Feindbild Sebastian Kurz.

Was das geringere Übel ist? Vor der Wahl keine Festlegung, lautet die offizielle Devise, an die sich Parteichefin Pamela Rendi-Wagner aber selbst nicht sklavisch hält. Beim ORF-Sommergespräch stellte sie fest: "Opposition ist Mist."

Es gibt Sozialdemokraten, die das genau umgekehrt sehen. Schneide die SPÖ so schlecht ab, wie die Umfragen prophezeien, "macht eine Koalition keinen Sinn", sagt Eva Maltschnig: "Die Rolle des schwachen Zweiten an der Seite von Kurz bringt uns um wie die deutsche SPD. Das wäre die Verzwergung der SPÖ."

Maltschnig führt die betont kritische Wiener Sektion 8 an – ein Gradmesser für die Stimmung im jungen Parteivolk, aber weit weg von einem Machtfaktor. Sie glaubt zwar, dass viele Genossen ihr Urteil intuitiv teilen, doch im Hinterkopf sitzt halt auch das alte Selbstverständnis als Staatspartei: Die SPÖ sieht Regieren als ihre Berufung – und Türkis-Blau lässt sich womöglich nur dann verhindern, wenn sich die Roten anbieten.

Ob sich die SPÖ traut, entscheiden nicht zuletzt die Bosse der Gewerkschaft. Die Arbeitnehmervertreter wollen wieder als gleichberechtigte Sozialpartner am Entscheidungstisch sitzen, sind trotz aller Demütigungen unter Kurz grundsätzlich für die Regierung – sofern der Preis stimmt. Abgesehen von einem Sozialministerium in roter Hand werden auf der Forderungsliste etwa eine Korrektur der Machtverhältnisse in der Sozialversicherung zugunsten der Arbeitnehmer und Goodies zur Abgeltung des Zwölfstundentages stehen. Die komplette Rücknahme des umstrittenen Arbeitszeitgesetzes dürfte keine unumstößliche Bedingung werden. Hinter vorgehaltener Hand ist zu vernehmen: Die ganz große Katastrophe habe der Zwölfstundentag dann doch nicht gebracht.

Wolle die SPÖ ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren, müssten jene türkis-blauen Gesetze geändert werden, gegen die man beim Verfassungsgerichtshof geklagt hat, ergänzt ein roter Landesparteichef, der ungenannt bleiben will – Beispiel Mindestsicherung. Letztlich werde die Stimmungslage in der Partei davon abhängen, sagt der hochrangige Genosse, "ob rote Linien halten oder nicht".

Angst vor Umfaller der Chefin

Doch genau an dieser Standfestigkeit zweifeln Funktionäre, und das nicht nur deshalb, weil der mit einer Alternative ausgestattete Kurz die SPÖ erpressen könne. Rendi-Wagner und Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda wird in roten Reihen ein außerordentlicher Drang in die Regierung nachgesagt. Das Duo hat die Politik als erstes aus der Perspektive der Chefetage kennengelernt – umso sehnlicher sei der Wunsch nach der Rückkehr ins reizvolle Ministerdasein. Tenor der Skeptiker: Den beiden sei zuzutrauen, zentrale Forderungen zu entsorgen, noch bevor sie überhaupt am Verhandlungstisch Platz genommen haben.

Und wo steht die breite Masse? Einheitlich ist das Bild nicht. Die Einschätzungen von Insidern reichen von "derzeit keine Mehrheit für eine Koalition" über "60:40 pro" bis zu einem "Übergewicht der Befürworter weit weg von knapp", wie das der Nationalratsabgeordnete Jan Krainer einschätzt: "Ein kategorisches Nein zur FPÖ, okay. Aber wenn wir auch eine Koalition mit der ÖVP ausschließen, ohne ernsthaft zu verhandeln, können wir als Ziel gleich in die Statuten schreiben: absolute Mehrheit oder Opposition."

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Grüne glauben nicht an 180-Grad-Wende des ÖVP-Chefs

von Nina Weißensteiner

Bis vor kurzem galt noch Abschieben ohne Wenn und Aber: Doch seit August hören sich die ÖVP-Spitzen ganz anders an. Zumindest bei Lehrlingen mit negativem Bescheid wird plötzlich eine Neubewertung ihres Status in Aussicht gestellt, der ihnen einen Abschluss ihrer Ausbildung ermöglichen und einen Abschiebestopp garantieren soll.

Die lauten Überlegungen von Kurz, Schramböck, Stelzer und Co werden von Politikbeobachtern bereits als Signal gewertet, dass sich auch die Grünen nach dem Wahltag für eine Koalition bereithalten sollen. Denn seit eineinhalb Jahren tritt Oberösterreichs grüner Landesrat Rudi Anschober genau für eine solche Amnestie für Asylwerber in Lehre ein. Mittlerweile haben sich seiner Initiative österreichweit 135 Gemeinden, 2000 Unternehmer und 80.000 Unterstützer, darunter ÖVP-Promis, angeschlossen.

Doch der türkise Schwenk ist den Ökos, die nach ihrem Exodus aus dem Nationalrat vordringlich den Wiedereinzug schaffen wollen, nicht geheuer. Die Grüne Sigi Maurer spricht von "einem Signälchen" und erklärt: "Damit allein kriegt man uns nicht herum, wenn es bei der ÖVP keine inhaltlichen 180-Grad-Wenden gibt." Anschober selbst rechnet vor, dass die Republik erst diese Woche wieder "vier junge Menschen in Ausbildung" abgeschoben habe – wenn die ÖVP die anderen 881 Asylwerber in Lehre hierbehalten wolle, könne sie das im Parlament noch vor dem Wahltag durchbringen, ist er überzeugt.

Für wenig glaubwürdig halten die Grünen auch die verbalen Bestrebungen von ÖVP-Chef Kurz, den Klimawandel einzudämmen. Denn während Werner Koglers Partei auch fossile Treibstoffe verteuern will, warnt der Ex-Kanzler im Wahlkampf davor, damit Pendler an den sozialen Abgrund zu drängen. Bei strengeren CO2-Auflagen für die Industrie wiederum sieht er schon die Voest abwandern.

Als Juniorpartner der Kurz-ÖVP müssten die Grünen aber genau solche Prestigeprojekte durchbringen, sonst könnte eine Regierungsbeteiligung für sie erneut zum Überlebenskampf werden. Doch auch wenn man dem jungen Altkanzler kaum über den Weg traut, steckt die Partei in einem Dilemma: Verschließt man sich komplett, droht eine Neuauflage von Türkis-Blau – und dem Land neues Ungemach. Deswegen hat Kogler dieses Wording ausgegeben: Koalition schwer vorstellbar – doch bei Sondierungen werde man nicht die Flucht ergreifen.

Kein Aufstand der Wiener in Sicht

Von West, wo die Vizelandeshauptfrau Ingrid Felipe in Tirol mit Schwarz regiert, bis Ost, wo Verkehrsstadträtin Birgit Hebein in Wien mit der SPÖ koaliert, akzentuiert man diese Devise derzeit unterschiedlich, meint aber im Grunde dasselbe: Gespräche mit Kurz und Konsorten ja, aber einen Pakt gibt das noch lange nicht.

Denn den Grünen stecken auch die Erfahrungen mit Kurz' Vorbild und Vorgänger Wolfgang Schüssel in den Knochen: 2002 trat der damalige Kanzler mit ihnen in Koalitionsgespräche ein. Doch nachdem sich die Untergruppen inhaltlich weitgehend geeinigt hatten, ließ Schüssel, der unter anderem auf die Eurofighter bestand, nach einer langen Verhandlungsnacht im Februar 2003 im Morgengrauen alles platzen, wie sich ein Teilnehmer erinnert. Danach läutete er Schwarz-Blau II ein, für das Aus mit Grün wurde die aufständische Wiener Landesgruppe verantwortlich gemacht.

Ein Kenner von Schüssel wie Kurz glaubt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden auszumachen, der den Grünen nützen könnte: "Ersterer war inhaltlich detailverliebt. Kurz ist auf Überschriften fokussiert."

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Pinker Zwiespalt zwischen Abgrenzung und Vereinnahmung

von Marie-Theres Egyed

Bis vor kurzem tat Ex-Kanzler Sebastian Kurz gern so, als würde er die Neos gar nicht kennen. Doch beim ORF-Sommergespräch überraschte er mit der Aussage, ÖVP und Neos seien die Einzigen, die für ein transparentes Parteienfinanzierungsgesetz gekämpft hätten, seien aber von den anderen Parteien überstimmt worden.

Das brachte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger in Rage, ihr Alleinstellungsmerkmal wollte sie dem Ex-Kanzler nicht überlassen. Sofort stellte sie klar: "Stimmt nicht", die ÖVP habe alle diesbezüglichen Anträge der Neos abgelehnt.

Das skizziert das Grundproblem der Neos: Sie wollen beweisen, regierungstauglich zu sein. Gleichzeitig müssen sie sich von der ÖVP abgrenzen, um ihre Wähler zu halten. Kritik an Türkis-Blau ist ein zentrales Wahlkampfthema, verscherzen wollen sie es sich mit der ÖVP trotzdem nicht.

Rote Linien und Nein zu Blau

Für den stellvertretenden Parteichef Josef Schellhorn ist das kein Widerspruch. "Die Oppositionsrolle ist auf Dauer nicht befriedigend." Das sehen auch die pinken Wähler so, der Großteil will Neos in der Regierung sehen. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt, zuvor war die parlamentarische Kontrolle als Opposition ein wichtiges Wahlmotiv, für Neos zu stimmen.

Daher antwortete Meinl-Reisinger auf die immer wiederkehrende Koalitionsfrage: "Wir schließen niemanden aus, außer der FPÖ." So sehr sich die Neos-Wähler den Rollenwechsel von der Opposition in die Regierung auch wünschen: Eine Zusammenarbeit mit der ÖVP birgt die Gefahr, dass der Juniorpartner nur noch als türkises Beiwagerl gesehen wird. Bei den Nationalratswahlen 2013 und 2017 gab es einen gewissen Wähleraustausch zwischen beiden Parteien. Die Neos könnten ins Abseits gedrängt werden, wenn ihre Kernthemen wie Bildung oder Pensionen in einer Koalition mit der ÖVP verwässert würden.

Regieren um jeden Preis will auch Schellhorn nicht. Rote Linien müssten vorab gezogen werden, etwa ein Bekenntnis zu einer Bildungsreform und Entlastung. Nikolaus Scherak, zweiter Vizeparteichef, ist überzeugt, dass man "auch in der Opposition viel bewegen kann". Um überhaupt in Verhandlungen treten zu können, ist für ihn Transparenz das Um und Auf. Keinesfalls will er die "Showpolitik" der Türkisen mittragen: "Feigenblatt wollen wir nicht sein."

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Die Freiheitlichen werfen sich Kurz an den Hals – aber sind ihre Gefühle echt?

von Katharina Mittelstaedt

Es ist eine für österreichische Verhältnisse ungewöhnliche Strategie: sagen, mit wem man nach der Wahl will. In der jüngeren Geschichte der Republik ist es gar einzigartig, mit welcher Verve sich die Freiheitlichen ihrem kürzlich verflossenen Koalitionspartner an den Hals werfen. Im ersten Wahlkampfspot der FPÖ sitzen Parteichef Norbert Hofer und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz in der Paartherapie. Die blaue Conclusio: Konflikte lassen sich lösen, wir gehören zusammen.

Aber meinen die Freiheitlichen das ernst? Oder ist die vermeintliche Offenheit doch bloß Wahlkampftaktik?

"Bei vielen Funktionären ist schon noch großes Misstrauen da gegen die ÖVP, und die Enttäuschung ist bis heute groß", sagt Tirols blauer Landeschef Markus Abwerzger. Schließlich habe Kurz die türkis-blaue Regierung gerade erst "einseitig aufgelöst" – gegen den Willen der FPÖ, wie in blauen Kreisen stets betont wird. An sich spreche dennoch nichts gegen eine Fortführung der Koalition, ist Abwerzger überzeugt: "Unsere Wähler wollen, dass der Kurs fortgesetzt wird."

Misstrauen und Enttäuschung

Ein FPÖ-Berater gibt unumwunden zu: "Es ist auch eine Frage mangelnder Alternativen." Denn Fakt ist: Außer der ÖVP schließen auf Bundesebene alle Parteien eine Koalition mit den Freiheitlichen aus – es bliebe sonst nur die Opposition. Hinzu kommt: Kurz ist sehr beliebt, mit ihm zu liebäugeln ist auch strategisch klug, um gleichzeitig seine Sympathisanten zu umwerben. "Die Vorgangsweise ist natürlich wohlüberlegt."

Aus Abwerzgers Sicht sei es wichtig, dass die FPÖ bei Koalitionsgesprächen stark auftrete. "Justiz und Heer brauchen mehr Geld, Kurz zeigt da wenig Verständnis, da müssen wir konkrete Zahlen ausverhandeln." Abgesehen davon könne das in den gemeinsamen 18 Monaten nicht gänzlich abgearbeitete Regierungsabkommen als Arbeitsgrundlage dienen. "Eigentlich sollen wir nach einer Woche bereit sein für die Angelobung."

Abwerzger ist aber nicht der einzige Freiheitliche, der betont: Sollte die FPÖ unter 20 Prozent fallen, sei eine Koalitionsbildung schwierig. "Dann sind keine Verhandlungen auf Augenhöhe möglich", sagt der FPÖ-Landespolitiker.

Warum die ÖVP im Gegensatz zur FPÖ einen anderen Partner andenkt, können viele blaue Funktionäre nicht nachvollziehen: "Die Inhalte, für die Kurz zum Kanzler gewählt wurde, tragen eine eindeutig rechte Handschrift", befindet ein Freiheitlicher. "Wenn er das ernst gemeint hat, kann er nicht einfach auf eine Mitte-links-Regierung umschwenken."

(Gerald John, Marie-Theres Egyed, Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 8.9.2019)