Als Gesprächspartner wächst einem Helmut Brandstätter zwangsläufig über den Kopf: Der nunmehrige Listenzweite der Neos misst gefühlte zwei Meter. Das Treffen im Wiener "Schutzhaus Zukunft" auf der Schmelz nimmt anfangs dennoch eine eher kindliche Wendung. Der gelernte Medienmann besetzt, ohne dass ihn jemand darum gebeten hätte, die Kinderschaukel.

Als dreifacher Vater habe er die Wiener Spielplätze früher einmal ausgiebig getestet, sagt Brandstätter (64). Sein jüngstes "Kind" ist jedoch ein Buch. In diesem lässt er die 17 Monate der türkis-blauen Koalition Revue passieren, als Geisterbahnfahrt im Schnelldurchlauf.

Persönlich plädiert Helmut Brandstätter für die Ethik der christlichen Soziallehre.
Foto: Regine Hendrich

"Kurz & Kickl: Ihr Spiel mit Macht und Angst" enthält den atemlosen Erfahrungsbericht eines gekränkten Zeitungsherausgebers. Brandstätters Hauptvorwurf, für dessen Verbreitung er derzeit in heimischen Großbuchhandlungen sorgt, lautet: Die Referenten von Sebastian Kurz hätten ebenso unverhohlen wie schamlos versucht, auf die Berichterstattung des traditionell bürgerlichen "Kurier" Einfluss zu nehmen.

Brandstätter sagt: "Der Umgang von Sebastian Kurz mit Medien beruht einzig und allein auf der Freund-Feind-Unterscheidung. Beim "Kurier" gingen sie davon aus: Der gehört zu uns! Deshalb haben sie mir auch immer ausrichten lassen: Diese Zeitung muss auf Linie gebracht werden!"

Drei Schritte Entfernung

Brandstätter, Sohn eines prominenten ÖVP-Politikers, dürfte aus allen rosa-liberalen Schäfchenwolken gefallen sein. Auch vom ehemaligen Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad, so wurde ihm ausgerichtet, solle er, Brandstätter, sich besser "drei Schritte entfernt" halten. Konrad war Flüchtlingskoordinator geworden; er erregte durch sein Engagement mehrfach Unwillen bei Türkis-Blau. Brandstätter ging 2018 seiner Chefredakteurswürde verlustig, blieb zunächst jedoch noch "Kurier"-Herausgeber. Seit 25. Juli ist seine Kandidatur für die Neos fix. Fragt man ihn heute nach den Gründen für seinen Wechsel ins Politfach, kommt er über kurz oder lang auf Kurz zu sprechen.

Am jüngsten Ex-Kanzler der Republik arbeitet sich der Routinier Brandstätter mit großer Wollust und spürbarer Faszination ab. Den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Meidlingers hält er für eine Art von systemischem Versagen. Kurz sei in der ÖVP einfach auf keinen Widerstand gestoßen!

Heute vergleicht er den Türkisen mit Jörg Haider ("Manches, was Kurz sagt und umsetzt, erinnert bis in den Wortlaut hinein an Haider. Nur war der sehr, sehr gebildet, im privaten Umgang ein hochinteressanter Mann!").

Der Neo- und Neos-Politiker verspürt dennoch keine Berührungsängste vor Türkisen und Sebastian Kurz.
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Keine Angst vor niemand

Nun könnte es nach den Wahlen durchaus passieren, dass Brandstätter irgendwann neben Kurz und Co auf der Regierungsbank Platz nimmt. Da müsste es Brandstätter doch vor Widerwillen schütteln? Er verneint, gibt Entwarnung. Neos seien eine Kleinpartei. "Das letzte Mal hatten wir fünf Prozent. Deshalb empfinde ich schon die Frage als Kompliment." Für den Fall des Falles meint Brandstätter aber: "Regierungsmitglieder, die ihn nicht in dieser widerlichen Ausländerpolitik bestärken, der er glaubt nachlaufen zu müssen, würden vielleicht einen verträglicheren Menschen aus ihm machen!" Jetzt aber lassen wir es gut sein mit Kurz.

Im Parlament möchte Helmut Brandstätter am liebsten die Fahne der Bildung hochhalten. Als ehemaliger Medienunternehmer wisse er überdies besser als andere, was Lohnnebenkosten sind. Es gebe eine neue Statistik, die besagt: Familienunternehmen sind erfolgreicher als Aktiengesellschaften. Also möchte sich der Ex-Journalist am liebsten als Anwalt der kleinen Selbstständigen in die Brust werfen. Die "Hidden Champions" fördern! Dass ihm die Medienpolitik in unserem schönen, mit viel Boulevard gepflasterten Lande stinkt, erscheint dagegen wenig verwunderlich. 600 Millionen allein für den ORF, während sich andere Medien gerade einmal neun Millionen Euro teilen: "Ein total perverses System", so Brandstätter.

Wo sieht sich Brandstätter in einem Jahr? Kurzes Nachdenken. "Im parlamentarischen Bildungsausschuss sitzend. Ein Buch schreibend. Ich sehe mich eigentlich niemals in Pension, auch nicht nach Ablauf der Legislaturperiode." Sein Blick schweift durch den Kiesgarten auf der Schmelz und fällt auf einen arbeitenden Kellner. "Ich korrigiere mich: Ich verstehe, dass Leute, die ihr Leben lang durch einen Gastgarten gelaufen sind, einen Anspruch darauf haben, müde zu sein!" (Ronald Pohl, 8.9.2019)