Das Beste an Prokrastinationskritik: Man kann sie stets als Echtzeitstudie anlegen. Küche geputzt, eine Hose geflickt. To-do-Listen angelegt. Gebügelt. Wäsche aufgehängt, das hat sich als Kreativitätsbooster schon oft bewährt. Man klammert ein Wäschestück nach dem anderen an die Leine, das scheint die Hirnaktivität auf eine positive Weise zu beeinflussen. Im Netz diese Studie gesucht, dass es kreativitätsfördernd sei, wenn man Papier klammere oder falte (nicht gefunden). Was ich fand: ein paar Adressen, in denen man in Wien Segelhandschuhe kaufen kann, ein Angebot auf Willhaben und diverse Möglichkeiten, Segelhandschuhe online zu bestellen. Ich segle nicht. Es gibt augenblicklich auch keine Pläne, je zu segeln.

Aber eine Freundin, die bald segeln geht, hat in einer Whatsapp angedeutet, dass ihr in der Ausrüstung noch Segelhandschuhe fehlen. Prokrastinieren bedeutet auch, ordentlich Lebenszeit und Energie in ein Problem zu investieren, das man gar nicht hat.

Aufschieberitis gehört zum Leben vieler Home-Office-Worker, Studierender und Autorinnen.
Foto: Frank Robert

Aufgedrehte Kreativität

Ich schreibe nicht das erste Mal übers Prokrastinieren, über Aufschieberitis, es ist ein Lebensthema vieler Home-Office-Worker, Studierender und Autorinnen. Ich habe schon einmal eine Umfrage unter Freundinnen gemacht, via Facebook, und es war wenig überraschend, dass die Antworten nicht eintrudelten, sondern tsunamiartig eintrafen, von anderen Heim- und Textarbeitern, die diese Chance der Ablenkung von ihrer eigenen Arbeit dankbar ergriffen: Es ist tatsächlich so viel inspirierender, die Probleme anderer zu lösen als die eigenen.

Ich habe schon vor längerer Zeit beschlossen, die Prokrastinationslust als Teil des kreativen Prozesses zu akzeptieren, weil die Ablenkung von der dringend zu erledigenden Arbeit, das Entfernen und Wegdriften offensichtlich ein Teil des Prozesses ist. Für mich: Andere setzen sich hin und erledigen diszipliniert, was es zu erledigen gibt, ohne Stress, ohne Selbstzerfleischung, weil man wieder nicht das geschafft hat, was man sich vorgenommen hat. Ich habe aufgehört, diese Leute zu beneiden. Es funktioniert nicht, es funktioniert bei mir anders.

Einer hat mir einen Cartoon geschickt. Calvin & Hobbes. Calvin spielt in der Sandkiste, Hobbes fragt, ob er schon eine Idee für sein geplantes Projekt habe, und Calvin antwortet, man könne Kreativität doch nicht aufdrehen wie einen Wasserhahn, es brauche die richtige Stimmung dafür. Was das für eine Stimmung sei, fragt der Kater, und Hobbes sagt: Last-Minute-Panik. Und bei manchen Leuten ist das dann tatsächlich, nach all dem Abgelenke, das Einzige, das hilft, endlich für die Prüfung zu lernen, endlich diesen Text fertigzuschreiben.

Ebenfalls auf Facebook fragte kürzlich eine Autorin, was die anderen so machten, um in den Flow zu kommen. Die Antworten reicht von Tee trinken, gute Musik aufdrehen, laufen, lachen, mit dem Hund spazieren gehen bis zu Tantra-Massagen. Bei mir hilft letztlich eins: eine Deadline, und da ist sie schon. (Doris Knecht, 7.9.2019)

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