Wir befinden uns im Alexandria des vierten Jahrhunderts, im berühmten Museion, einer Forschungsstätte und Lehreinrichtung für die angesehensten aller Philosophen und Philosophinnen. Hypatia, die später als eine der wichtigsten Pionierinnen der Mathematik, Astronomie und Philosophie in die Geschichte eingehen sollte, bereitet sich auf ihren Unterricht vor. Sie streift sich ihren Philosophenmantel über und schreitet in einen Raum, in dem hunderte wissbegierige, junge Menschen aus aller Welt bereits auf sie warten. Begeistert lauscht die Menschenmenge jedem Wort Hypatias.

Wie endete Hypatias beispiellose Karriere auf diesen Gebieten früher Wissenschaften? Damit, dass christliche Fundamentalisten sie samt ihrer "satanischen" Lehren öffentlich verbrannten – aus rein himmlischer Intention heraus natürlich.

Besser in allem

Frauen genossen auch nach dem Tod Hypatias keinen besonders guten Ruf, auch nicht unter Wissenschaftern. Sogar Charles Darwin, anfangs noch von der Kirche als "Affenmann" verspottet, genießt mittlerweile weltweites Ansehen als Vater der Evolutionstheorie. Hätten Hypatia und Darwin einen befruchtenden Austausch gepflegt, wären sie in der derselben Zeit tätig gewesen? Nicht unbedingt, wie spätestens die Lektüre von Darwins Buch "Die Abstammung des Menschen" (1875) vermuten lässt:

"Der hauptsächlichste Unterschied in den intellektuellen Kräften der beiden Geschlechter zeigt sich darin, dass der Mann zu einer größeren Höhe in Allem, was er nur immer anfängt, gelangt, als zu welcher sich die Frau erheben kann, mag es nun tiefes Nachdenken, Vernunft oder Einbildungskraft, oder bloß den Gebrauch der Sinne und der Hände erfordern."

"Na, nur weil irgendein Affenmann mal vor 100 Jahren was Böses über Frauen geschrieben hat, heißt das nicht, dass Frauen in der Wissenschaft heute noch mit solchen Ansichten kämpfen müssen!", denken Sie sich jetzt vielleicht.

Schlechte Gene oder so

Larry Summers, früherer Präsident der Harvard Universität, antwortete in einem Interview 2005 auf die Frage, warum Frauen in der "High-End"-Forschung weniger repräsentiert sind als Männer, dass Frauen rein aufgrund ihrer Genetik schlechter in Mathematik wie auch anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen sind – natürlich absolut unwissenschaftlicher Bullshit.

Nobelpreise wurden bisher hauptsächlich an Männer vergeben.
Foto: Reuters

Weiter geht es mit einem Professor der Universität von Pisa, Alessandro Strumia, der bis vor Kurzem noch bei Cern beschäftigt war. Er gab bei seiner Vorlesung im Oktober 2018 seine Meinung über Frauen in den Naturwissenschaften zum Besten: "Physik wurde von Männern erfunden und auch aufgebaut." Frauen, so meinte er, landeten oft "unverdienter Weise" in diesem Sektor.

Sexy Heulsusen

Eine weitere moderne – und ganz besonders "intelligente" – Aussage von Nobelpreisträger Tim Hunt bei einem internationalen Wissenschaftskongress 2015 möchte ich Ihnen ebenfalls nicht vorenthalten: "Drei Dinge passieren, wenn sie [Frauen] im Labor sind: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich, und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen", sagte Hunt vor Publikum. 

Man würde sich wünschen, dass Meinungen wie diese ärgerliche Ausnahmen sind. Tatsache ist jedoch, dass diese Ansichten sehr weit verbreitet und mitunter für eine enorme Chancenungleichheit für Frauen in der Wissenschaft verantwortlich sind. 

So what?

Warum werden sie nicht als das abgetan, was sie sind: anekdotisch, subjektiv, sexistisch, herabwürdigend, ja ekelhaft? Als ein Produkt fest eingewobener patriarchaler Strukturen und toxischer Männlichkeit eben? 
Ein Grund ist, das Männer wie Hunt ihr Ansehen als Wissenschafter missbrauchen, um ihrem Chauvinismus mit veraltetem wissenschaftlichen Wissen und Halbwahrheiten den Anschein von Tatsachen zu verleihen. Beispielsweise wird häufig argumentiert – meist, aber nicht nur von Männern –, dass Männer intelligenter und zielstrebiger seien. Als Beweis und Referenz erwähnt man dann zum Beispiel, dass ja 776 aller Nobelpreise an Männer gingen, während nur 51 Nobelpreise an Frauen verliehen wurden.

Spätestens hier können schnell die Gegenargumente ausgehen, weil es ja prinzipiell wahr ist, dass Forscherinnen im Laufe der Geschichte weit weniger im Vordergrund standen als ihre männlichen Kollegen. Aber liegt das tatsächlich an einem niedrigeren Intellekt? Nein, natürlich nicht. 

Alles nur geklaut

Frauen wurde gar nicht erst ermöglicht, in der Forschung Fuß zu fassen – und wenn sie es doch versucht haben, hat man sie dafür entweder diffamiert, ihre Arbeit belächelt oder aber ihre Ergebnisse gestohlen. So erging es unzähligen Forscherinnen.

Das wohl berühmteste Beispiel ist das von Rosalind Franklin, deren Forschungsergebnisse zum DNA-Model bahnbrechend waren – und schlussendlich den Kollegen James Watson und Francis Crick den Nobelpreis einbrachten. Kein Wort der Anerkennung für Franklins Arbeit.

Dann ist da noch Esther Lederberg, eine Pionierin der Mikrobiologie, Entdeckerin der Lambda Bacteriophage (ein Virus, das Bakterien befällt). Für die von ihr entwickelten Strategien, um Antibiotikaresistenzen zu erforschen, bekam ihr Ehemann Joshua Lederberg zusammen mit zwei männlichen Kollegen 1958 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

Doppel-Nobelpreisträgerin Marie Curie.
Foto: Public Domain

Kein Liebesbrief

Es gab im Laufe der Zeit deutlich weniger Fälle, in denen Forscherinnen sich den verdienten Preis für ihre Arbeit schließlich doch erfolgreich erkämpfen konnten – Marie Curie ist ein solches  Beispiel. Curie war nicht nur die erste Frau, die einen Nobelpreis verliehen bekommen hat, sie war auch der erste Mensch, der gleich zwei Preise in unterschiedlichen Disziplinen gewonnen hat.

Im vollen Bewusstsein dafür und dass sie alles andere als eine Unterlegene des Mannes war, schrieb die Frauenrechtlerin Caroline Kennard deshalb auch Darwin einen Brief als Antwort auf seine Studien zur Überlegenheit des Männlichen: "Lasst die 'Umgebung' der Frau ähnlich wie die des Mannes werden, mit den gleichen Möglichkeiten, bevor sie zur intellektuell Unterlegenen degradiert wird."

Wie die Wissenschaft und ihre Preisverleihungen wohl aussehen werden, wenn das erreicht ist? (Sibel Ada, 12.9.2019)

Sibel Ada ist Neurobiologin am Hirnforschungszentrum der Medizinischen Universität Wien, wo sie im Zuge ihres Doktorats versucht herauszufinden, was die neuronale Basis von chronischem Schmerz ist. Zuvor studierte sie Biomedical Engineering an der FH Technikum und setzte ihre Ausbildung mit einem Master in Molekularbiologie fort. Im Zuge ihres Masterstudiums untersuchte sie am Institut für Moleklare Pathologie (IMP), wie Angst- und Belohnungsverhalten im Mäusehirn kodiert ist.

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