Der Biss des bei uns heimischen, bis zu 3 Zentimeter langen Gemeinen Steinläufers (Lithobius forficatus) ist vergleichsweise harmlos, kann aber durchaus schmerzhaft sein.

Foto: Bjoern M. von Reumont

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Beißt einen dagegen ein Brasilianischer Riesenläufer (Scolopendra gigantea), hat das dagegen schwerwiegendere Folgen.

Foto: AP/Natural History Museum

Hundertfüßer gelten als urtümliche Gliederfüßer, deren genaue Position im Stammbaum immer noch nicht eindeutig bestimmt ist. Als Teil der Tausendfüßer könnten sie eine Schwesterngruppe der Chelicerata sein, zu denen vor allem die Spinnentiere zählen. Eine andere Theorie setzt sie neben die Insekten und die Krebstiere als dritte große Gruppe der Mandibeltiere.

Über 430 Millionen Jahre alte Fossilien belegen, dass die Hundert- und Tausendfüßer unter den allerersten Tieren waren, die permanent an Land lebten. Vermutlich brachten die Hundertfüßer auch schon recht bald giftige Vertreter hervor. Heute besitzen diese Gliederfüßer Gifte, mit denen sich sogar Mäuse töten lassen. Ein internationales Forscherteam hat nun erstmals die Giftkomposition und Giftevolution aller fünf Hundertfüßergruppen genauer untersucht und dabei erstaunliche Daten gewonnen.

Dynamische Anpassung in den letzten 50 Millionen Jahren

"Spannend ist, dass wir nun rekonstruieren können, wie die Gifte in dieser Gruppe ursprünglich zusammengesetzt waren und sich dann im Laufe der Evolution verändert haben", sagt Björn von Reumont von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). "Unsere Daten zeigen, dass die ursprünglichen Gifte bis vor ca. 50 Millionen Jahren sehr einfach zusammengesetzt waren und dann relativ schnell und zum Teil extrem komplex angepasst und verändert wurden. Die höchste Komplexität weisen die Gifte der Hundertfüßer aus der Gruppe der Skolopender-artigen auf."

Überraschend für Forscher war, dass es keine Giftkomponente oder einzelne Giftproteine gibt, die in allen fünf Großgruppen vorkommen. Dies zeigt, wie dynamisch die Anpassung des Giftcocktails an die Beute und jeweilige Ökologie der Hundertfüßer erfolgt ist.

Während die anderen Arten der Tausendfüßer Pflanzen- oder Detritusfresser sind, haben Hundertfüßer eine aktive, jagende Lebensweise entwickelt. Hierbei spielen ihre Kieferklauen und ihre Giftdrüsen, die in der Spitze dieser Kieferklauen münden, eine große Rolle. Mancher Gartenbesitzer musste dies bereits erfahren, wenn ein Steinläufer (Lithobius) sich bedroht fühlte und zugebissen hat.

Bis zu 30 Zentimeter lange Jäger

Bislang wurden nur Gifte einzelner Arten beschrieben, die alle zu den Skolopender-artigen gehören, einer der fünf Großgruppen der Hundertfüßer. Dies sind schnelle, agile Jäger, die alles fressen, was sie überwältigen können. Einige Arten, insbesondere in den Tropen, werden bis zu 30 Zentimeter groß. Mit ihren Toxinen können diese Hundertfüßer auch Wirbeltiere wie Mäuse oder Fledermäuse töten.

Die nun in dem Fachjournal "Molecular Biology and Evolution" veröffentlichte Studie zeigt, wie wichtig die Erforschung noch unbekannter und bisher vernachlässigter Gifttiere ist. "Wir konnten nachweisen, dass in jeder der Hundertfüßergruppen für diese Gruppen einzigartige Giftproteine entstanden sind, die hochspezifisch wirken und großes Potenzial bezüglich ihrer Bioaktivität versprechen", erklärt von Reumont. "Einige dieser Proteine sind sehr klein und ähneln bekannten Neurotoxinen stark."

Pharmakologische "Schatztruhe"

Die Gifte der Hundertfüßer stellen somit eine pharmakologisch und agrochemisch interessante "Schatztruhe" dar. Hundertfüßer sind aber nicht nur als mögliche Bioressource, sondern auch aus ökologischer und evolutionärer Perspektive interessant. Als eine der ältesten Gliedertiergruppen üben sie wichtige Funktionen aus in Bodenökosystemen aus – Lebensräume, die zurzeit akut gefährdet sind durch Klimawandel und Pestizideinsatz.

Die im Boden lebenden Arten aus der Gruppe der Geophilomorpha zeigen auch eindrücklich, wie komplex und erfindungsreich Evolution ist. Diese Arten setzen ihr Gift nicht nur aktiv ein, wenn sie mit ihren Giftklauen jagen, sondern schützen sich zusätzlich durch Drüsen, die ihren Körper überziehen und passiv Toxine abgeben, wenn zum Beispiel ein Trupp von Ameisen die Tiere attackiert. (red, 9.9.2019)