Der britische Premier würde nach eigenen Angaben, lieber "tot im Graben liegen", als den Brexit zu verschieben.

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London/Dublin – Das britische Parlament soll bereits an diesem Montagabend in eine fünfwöchige Zwangspause geschickt werden. Seine Arbeit soll es erst Mitte des nächsten Monats wiederaufnehmen, teilte ein Regierungssprecher am Montag mit.

Der von der Regierung von Premier Boris Johnson schon länger angekündigte Schritt wurde eigentlich erst in den nächsten Tagen erwartet. Der Countdown zum Brexit hatte sich zuletzt immer mehr zum Machtkampf zwischen Regierung und Parlament entwickelt. Während die Regierung auch einen No Deal in Kauf nehmen würde, um den EU-Austritt am 31. Oktober zu vollziehen, will das Parlament das mit allen Mitteln verhindern. Die Zwangspause entzieht ihm Einfluss und Macht. In den vergangenen 40 Jahren gab es keine solche Pause, die länger als drei Wochen gedauert hat.

Der Chef der oppositionellen Labour-Partei Jeremy Corbyn nannte die Entscheidung "beschämend". Der Premier "scheint von Fragen wegzulaufen".

Noch am Montagvormittag beteuerte Johnson, weiter an einem Plan für einen geregelten Austritt zu arbeiten. Einen Austritt ohne Abkommen, also einen No Deal, bezeichnete er bei seinem Antrittsbesuch in Irland als "Versagen".

Ausstiegsvertrag bis "Mitte Oktober"

Er zeigte sich überzeugt, bis Mitte Oktober einen Ausstiegsvertrag mit der EU unter Dach und Fach zu haben. Bei seinem Besuch in Irlands Hauptstadt Dublin beteuerte er, dass er "einen Deal finden, einen Deal machen" wolle.

Er habe die Folgen eines No Deal genau geprüft, erklärte Johnson. Das Vereinigte Königreich könne einen solchen Schritt "sicherlich überstehen". Aber das Ergebnis wäre ein Versagen der Staatskunst, für das alle verantwortlich wären, ergänzte er bei einem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar.

Dieser hatte dem britischen Premier vor dem Treffen vorgeworfen, der EU bisher keine "realistische" Alternative zum Backstop vorgelegt zu haben. Bis eine Alternative gefunden sei, bleibe der Backstop ein wesentlicher Bestandteil des Austrittsabkommens mit der EU, betonte Varadkar.

Die Zukunft der inneririschen Grenze ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem geregelten Brexit. Der bisher ausgehandelte Deal zwischen der EU und Großbritannien sieht den Backstop zur Verhinderung einer harten Grenze auf der Insel vor. Johnson lehnt diesen ab.

Angebliche No Deal-Pläne der Regierung

Johnsons Bekenntnisse zu einem geregelten Brexit in Dublin kamen inmitten zahlreicher Vorwürfe, dass er eigentlich nur noch an einem No Deal arbeite. Medienberichten zufolge würde er außerdem konkrete Vorkehrungen zur Verhinderung der vom Parlament angestrebten Brexit-Verschiebung treffen. Johnsons Berater arbeiteten am Sonntag eine entsprechende Strategie aus, berichtete der "Daily Telegraph".

Demnach würde Johnson sich zwar an das vom Parlament entworfene Gesetz halten und die EU um eine Verschiebung des Austritts bitten. Parallel würde er aber in einem Brief erklären, dass die Regierung gegen eine Verschiebung über den 31. Oktober hinaus sei.

Bei der EU um Aufschiebung anzusuchen wäre für Johnson eine schwere Niederlage. Lieber würde er "tot im Graben liegen", hatte der Premier am Wochenende gesagt.

Es fehlt nur noch die Unterschrift der Queen

Das gegen den massiven Widerstand von Johnson verabschiedete Gesetz verpflichtet den Premier, bei der EU-Kommission die Verschiebung des Brexits zu beantragen, sollte er es nicht schaffen, bis zum 19. Oktober ein Austrittsabkommen mit der EU zu vereinbaren. An diesem Montag wird erwartet, dass Königin Elizabeth II das Gesetz unterzeichnet, das damit in Kraft tritt.

In der Opposition wächst jedoch die Sorge, dass Johnson das Gesetz ignorieren wird oder sich eine Hintertür offenlässt. Sie hat laut einem Korrespondenten des Senders ITV daher vor, am Montag eine Dringlichkeitsdebatte im Parlament zu beantragen. So wollen die Abgeordneten versuchen, die Regierung dazu zu zwingen, ihre Pläne für einen Austritt ohne Abkommen zu veröffentlichen.

Neuwahlen vor Brexit-Termin wohl ohne Mehrheit

Johnsons Wunsch ist es, noch vor dem 19. Oktober beziehungsweise vor dem anvisierten Brexit-Termin am 31. Oktober Neuwahlen durchzuführen. Dazu braucht er aber bei einer Abstimmung im Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Bereits vergangene Woche wurde ihm diese verwehrt, am Freitag hatten sich die Oppositionsführer geeinigt, Neuwahlen vor dem Brexit-Termin zu blockieren. Dennoch wird damit gerechnet, dass Johnson am Montagnachmittag im Parlament einen neuen Versuch starten will. Auf diese Weise will er das Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit noch ändern.

Angst vor weiteren Rücktritten

Nachdem am Wochenende Arbeitsministerin Amber Rudd zurückgetreten ist, muss Johnson außerdem weitere Rücktritte befürchten. An seinem kompromisslosen Brexit-Kurs stößt sich nicht nur die Opposition, sondern auch eine immer größere Anzahl seiner Parteikollegen.

Auf Twitter dementierte unterdessen Justizminister Robert Buckland einen bevorstehenden Rücktritt.

Auch Julian Smith, Staatssekretär für Nordirland, dementierte am Montag Rücktrittsgerüchte. (APA, red, 9.9.2019)