Der Fotograf Natan Dvir ist für seine Serie "Platforms" in die New Yorker Subway hinabgestiegen. Batman lief ihm in der Station 14th Street (Union Square) über den Weg.

Foto: Natan Dvir

Für "Red Rush Redux BabelTales" aus der Serie "Babel Tales" hat Peter Funch zwischen 2006 und 2010 immer wieder Passanten mit roten Plastiksackerln fotografiert – und sie digital auf einem Bild zu einer Gemeinschaft zusammengefügt.

Foto: Peter Funch, Courtesy Peter Funch und V1 Gallery

Thronen über dem Würstelstand: "Juicy Couture 01" von 2008 ist Teil von Natan Dvirs Serie "Coming Soon".

Foto: Natan Dvir

Michael Wolf hat in der Tokioter U-Bahn zwischen 2010 und 2012Menschen fotografiert, die in U-Bahnen gequetscht werden: "Tokyo Compression #39".

Foto: Michael Wolf, Courtesy Christophe Guye Galerie

Das Mädchen im pinken T-Shirt hat das Fahrrad achtlos zur Seite geworfen, sein Gesicht, nicht mehr als ein verwaschener Farbfleck. Hinter ihm zwei Bungalows, ein Jeep. Wolken hängen über der trostlosen Szenerie irgendwo in Okeechobee.

Man sieht es dem Bild nicht unbedingt an, aber der Fotograf Doug Rickard, Jahrgang 1968, hat sich für seine Aufnahme nicht in jenes trostlose Kaff in Florida aufgemacht. Der Amerikaner ist ein Street-Photographer der virtuellen Welt, seinen Schreibtisch muss er zum Arbeiten nicht verlassen. Rickard hat Straßenszenen auf Google Street View herangezoomt und dann vom Monitor abfotografiert, davon zeugen die Unschärfen und Spiegelungen auf seinen Bildern.

Sieben Jahrzehnte Street Photography

Die Ende der Nullerjahre entstandenen Fotografien von Doug Rickard sind Teil der großangelegten Ausstellung Street. Life. Photography – sieben Jahrzehnte Street Photography, die im Rahmen der Triennale der Photographie 2018 in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen war. In abgespeckter Form hat sie nun im Kunsthaus Wien aufgeschlagen. Für die Präsentation in Wien hat die deutsche Kuratorin Sabine Schnakenberg auf ein Drittel der Arbeiten verzichten müssen, die luftigen Deichtorhallen bieten doch mehr Spielraum als das Wiener Kunsthaus.

Gleichzeitig wurde die Schau um drei österreichische Positionen erweitert – um Alex Dietrichs Aufnahmen von Würstelboxen, Lies Maculans Porträts von auf der Straße liegenden Menschen, dazu kommen Erich Lessings Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Wien der 1950er-Jahre.

Alte Bekannte

Trotz der Verknappung sind noch immer rund 200, in fünf Kapitel (darunter "Crashes" oder "Public Transfer") unterteilte Fotoarbeiten zu entdecken. Schnell wird offensichtlich: Die Kuratorin will die Fotografie "von der Straße" in all ihrer Vielfalt aufblättern. Nicht immer aber ist nachvollziehbar, was warum wo hängt. Das mag damit zu tun haben, dass sich unter den Bildern viele hochkarätige, aber oft gesehene Klassiker der (Street-)Photography befinden.

Auf die omnipräsenten Arbeiten eines Henri Cartier-Bresson wurde zwar bewusst verzichtet, dafür begegnet man beim Rundgang durch die Ausstellung immer wieder alten Bekannten: Lisette Models spitznasiger Dame, die sie 1949 auf einer Parkbank in San Francisco entdeckt hat, William Kleins Kindern mit Spielzeug waffen, Diane Arbus armem dickem Mädchen, Lee Friedlanders Dame im Pelz oder der großformatigen Hongkonger Straßenszene des Amerikaners Philip-Lorca di Corcia.

Schnakenberg, die seit 2001 die Sammlung des deutschen Modefotografen und Sammlers F._C. Gundlach betreut, hat rund die Hälfte der Ausstellung mit Arbeiten aus der illustren Fotosammlung bestückt.

Zeitgenössische Street-Views

Spannender wird es, wenn zeitgenössische Positionen von Veränderungen auf den Straßen erzählen. Von der Rundumüber wachung via Google Street View bei Doug Rickard oder von den nächtlichen, alkoholischen Entgleisungen in Cardiff: Der polnische Fotograf und -journalist Maciej Dakowicz hat die Jugendlichen sechs Jahre lang zwischen Bushaltestellen und Bordsteinen begleitet.

Diese Bilder lösen das Versprechen der Kuratorin ein, keine "hochästhetisierte Ausstellung" machen zu wollen. Eine ebenso eindrucksvolle Serie ergeben die Fotografien des 1978 in Algerien geborenen Künstlers Mohamed Bourouissa. Er hat für seine Arbeit "Périphérique" in den Pariser Banlieues, in den traurigen Hochhaussiedlungen außerhalb der französischen Hauptstadt, jugendliche Gangs zu filmartig inszenierten Tableaus gruppiert, die sämtliche Klischees nachzeichnen.

Dass sich die Street-Photography mittlerweile vor allem in Social-Media-Netzwerken wie Instagram verbreitet (unter dem Hashtag #Streetphotography sind dort mehr als 65 Millionen Bilder abgelegt) und verselbstständigt hat, ist für keine der gezeigten Positionen im Kunsthaus Wien explizit Thema. Schade eigentlich. Denn auf der Plattform Instagram lässt sich beobachten, dass Straßenfotografie dort mittlerweile irgendwie alles ist: Porträt, Selfie, Landschaftsbild. (Anne Feldkamp, 10.9.2019)