Stefan Jagsch soll abgewählt werden.

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So einig sind sich SPD und CDU in Deutschland selten. "Ziel ist es, so schnell wie möglich eine Abwahl des jetzt Gewählten durchzuführen und einen anderen Kandidaten an die Stelle zu setzen", sagt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Und auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärt: "Ich erwarte, dass diese Entscheidung korrigiert wird."

Beide meinen eine Personalie, die derzeit in Deutschland für große Aufregung sorgt. Vorige Woche wurde im hessischen Altenstadt, im Ortsteil Waldsiedlung, Stefan Jagsch einstimmig zum neuen Ortsvorsitzenden gewählt. Normalerweise wäre dies bloß eine Randnotiz in der Regionalzeitung, doch bei Jagsch liegt die Sache anders. Er gehört zu den führenden Köpfen der NPD in Hessen, war dort auch einmal Landesvorsitzender, aktuell ist er Vizechef.

Dem Verfassungsschutz bekannt

"Aus dem Volk – für das Volk", so beendete Jagsch die Mitteilung über seine Wahl, von der nun viele auf Bundes- und Landesebene wünschen, es hätte sie in der Form gar nicht gegeben. "Die Stimmen von Mitgliedern des Ortsbeirates für einen NPD-Funktionär, dessen Name regelmäßig in Berichten des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz auftaucht und dessen Partei offen verfassungsfeindlich ist, sind unentschuldbar und unter keinen Umständen auch nur im Geringsten zu rechtfertigen", sagt etwa der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Günter Rudolph.

"Wir kooperieren nicht mit Nazis! Niemals!", twitterte Klingbeil, und im Grünen- Kreisverband war von einem "Blackout der Demokratie" die Rede. Salz in die Wunden streute AfD-Landessprecher Robert Lambrou: "Im Gegensatz zur CDU, SPD und FDP hat die AfD in Hessen noch nie NPD-Politiker zu Ortsvorstehern gewählt und wird so etwas Extremes auch in Zukunft nicht tun."

Aus Mangel an Alternativen

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass ein NPD-Mann zum Ortsvorsteher von 2.500 Bürgerinnen und Bürgern gewählt wird? Bis zum Juni hatte FDP-Mann Klaus Dietrich das Amt inne, er wollte aber nicht mehr weitermachen. Begründung: "die politische Wirkungslosigkeit des Gremiums Ortsbeirat".

Es fand sich niemand anderer für den Job außer Jagsch, und so wurde dieser einstimmig von Leuten der CDU, der SPD und der FDP gewählt. Warum er für ihn votiert habe, begründet der CDU-Vertreter im Ortsbeirat, Norbert Szielasko so: "Da wir keinen anderen haben – vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computer auskennt, der Mails verschicken kann."

Jagsch verhalte sich auch "absolut kollegial und ruhig". Und überhaupt: "Wir sind völlig parteiunabhängig im Ortsbeirat." Was Jagsch privat mache, gehe ihn nichts an.

Außerhalb des Ortes sieht man das allerdings anders, es laufen bereits Gespräche zur Korrektur. Das Innenministerium in Wiesbaden teilte mit, dass nach der Hessischen Gemeindeordnung ein Ortsbeiratsvorsitzender abberufen werden könne, "wenn zwei Drittel der in der gemeindlichen Hauptsatzung festgelegten Zahl der Ortsbeiratsmitglieder dafür stimmen".

Lächerlich und überzogen

Ortsvorsteher Jagsch hält die Aufregung um seine Wahl für "völlig überzogen und lächerlich". Er will sich für die Interessen des Ortsteils einsetzen und "weiterhin konstruktiv und parteiübergreifend mit allen zusammenarbeiten".

2016 war er bei einem Autounfall im hessischen Wetteraukreis schwer verletzt worden. Damals retteten ihn zwei syrische Flüchtlinge, indem sie ihn aus dem Wrack zogen. Jagsch erklärte später: "Wenn es so war, ist es lobenswert, dass mir syrische Flüchtlinge geholfen haben. Aber wenn ich das in der Zeitung lese, ist das für mich noch keine Tatsache." (Birgit Baumann aus Berlin, 9.9.2019)