Eine Reihe von Organisationen präsentierte am Montag den Demokratiebericht: (von links) Hans Zauner, Lisz Hirn (Philosophin), Maria Berger (Rettet die Justiz), Wolfgang Katzian (Gewerkschaftsbund), Rubina Möhring (Reporter ohne Grenzen), Alexandra Strickner (Attac, Solidaritätspakt), Roman Tiefenbacher (Fridays for Future), Ruth Simsa (Institut für Soziologie der WU Wien), Judith Pühringer (Armutskonferenz) und Lena Jäger (Frauenvolksbegehren).

Foto: APA / Georg Hochmuth

Seit einigen Jahren geht in Europa ein Gespenst um. Wenig überraschend ist es nicht der Spuk des Kommunismus, sondern die zunehmend autoritären Entwicklungen in den europäischen Demokratien, die Sorge bereiten. Polen wollte unliebsame Verfassungsrichter austauschen, Ungarn hat bis auf minimale Ausnahmen die gesamte Presselandschaft auf Regierungskurs gebracht, und in der Türkei sind mehr Journalisten als in jedem anderen Land der Welt inhaftiert.

Jetzt warnen auch Wissenschafter, Gewerkschaften und Vertreter der österreichischen Zivilgesellschaft in einem am Dienstag präsentierten Demokratiebericht vor demselben "Drehbuch" einer autoritären Entwicklung. Seit geraumer Zeit sei auch Österreich vor diesen Entwicklungen nicht mehr gefeit. Einig sind sich die Verfasser des Berichts, dass sich die Entwicklung von einer liberalen zu einer illiberalen Demokratie mit der mittlerweile abgesetzten türkis-blauen Regierung verstärkt habe.

Ähnliche Muster

Unter den Verfassern ist auch Ruth Simsa, Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien und Mitverfasserin des Civil Society Index Update für Österreich in diesem Jahr – eines Barometers, das wissenschaftlich zeigt, wie sich die Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft im Land verändert haben.

Die Muster der österreichischen Entwicklung ähneln jenen der oben genannten Staaten, sagt Simsa: Zuerst werde der Diskurs gegenüber der Zivilgesellschaft rauer. Simsa nennt hier beispielhaft die Aussagen des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz zum "NGO-Wahnsinn" im Mittelmeer. Dann werde die Partizipation der Zivilgesellschaft eingeschränkt, Stichwort: der Beschluss von Gesetzen im Schnellverfahren ohne Begutachtungsmöglichkeit der Zivilgesellschaft. Im nächsten Schritt werden Organisationen finanziell ausgehungert. Schlussendlich finde eine direkte Einschränkung geltender Grundrechte statt. Diese Entwicklung sehen die Verfasser des Demokratieberichts in der aktuellen Diskussion über ein Identitären-Verbot und in der schrittweisen Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit, die schon vor der türkis-blauen Regierung beschlossen wurde.

Sieben Lebensadern

"Es sind diese besorgniserregenden Entwicklungen, die uns dazu bewogen haben, aktiv zu werden", erklären die gut 80 Organisationen, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen in ihrer Aussendung. Mit ihrem Bericht richten sie sich direkt an die Bevölkerung. Schließlich liege die Zukunft der Demokratie in den Händen aller, und das bedeute für jeden Einzelnen, mehr als nur ein Kreuz auf dem Stimmzettel zu machen.

Alexandra Strickner, Initiatorin des "Solidaritätspakts" und Sprecherin von Attac, präsentierte am Montag den Demokratiebericht.
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Deshalb haben die Organisationen sieben sogenannte Lebensadern der Demokratie ausgearbeitet, die es zu pflegen gelte: den Einsatz aller, soziale Sicherheit, eine faire Wirtschaft, die Möglichkeit zur Mitgestaltung, den Schutz aller, unabhängige Informationsmöglichkeiten und nicht zuletzt Geschlechtergerechtigkeit. Diese "Adern" sind im Bericht mit Beispielen aus der zivilgesellschaftlichen Praxis veranschaulicht. Am Ende geben die Verfasser Handlungsanweisungen, die im Alltag einfach umzusetzen wären.

Keine Wahlempfehlung

Dass der Bericht kurz vor der Nationalratswahl präsentiert wurde und die türkis-blaue Regierung bei der Präsentation nicht gut wegkomme, sei keine Wahlempfehlung für eine bestimmte Partei. Vielmehr gehe es den Verfassern darum, eine Diskussion zu starten, die es jetzt brauche. Die "sieben Lebensadern" könne jeder selbst mit dem Angebot der wahlwerbenden Parteien abgleichen.

Dennoch scheint zumindest vorerst eine Erleichterung in der Zivilgesellschaft eingetreten zu sein. Die Übergangsregierung habe schon Signale gesetzt, die von ihren Vorgängern nicht denkbar gewesen seien, so die Organisatoren. Zum Beispiel sei die jetzige Frauenministerin Ines Stilling auf die Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens zugegangen. Im Parlament seien sie damals "endabgefertigt" worden. Auch die Aussagen des jetzigen Justizministers Clemens Jabloner über die prekäre Lage der Justiz seien eine "wichtige Vorarbeit" für Verbesserungen, so die ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof und Initiatorin der Petition "Rettet die Justiz", Maria Berger. Es gehe eben auch anders, da sind sich die Organisationen, die sich Sorgen um die österreichische Demokratie machen, an diesem Tag einig. (Laurin Lorenz, 10.9.2019)