Mit den Händen zu formen, Holz und Metall zu einer Axt zu veredeln, das macht Julia Kalthoff Freude. Daher gründete sie nach ihrer Tätigkeit als CEO einer Axtfirma 2016 ihr eigenes Label.

Foto: Tina Stafrén

Menschen brauchen Hobbys. Jedenfalls seitdem sie ihre Höhlen verlassen haben und andere Dinge tun, als der nächsten Mahlzeit hinterherzujagen. Besonders dringend heute, da sie zunehmend wieder von der aufrechten in die gebeugte Haltung wechseln. Menschen, die zehn Stunden täglich am Computer sitzen, Menschen, die auf ihr Smartphone stierend durch die Straßen irren und gar nicht wissen, dass ihre Finger zu mehr fähig sind, als Whatsapp-Nachrichten zu tippen.

Für all jene hat Julia Kalthoff einen Tipp: Holzarbeit. Und zwar mit einer Axt, wie sie vor ihr auf dem Tisch liegt. Schwer ist sie und liegt zugleich gut in der Hand, etwa dreißig Zentimeter lang, mit glattpoliertem Holzgriff, die Klinge von einer Lederhülle geschützt. Die gute Nachricht für all jene modernen Menschen mit Entscheidungsproblemen: Bei Kalthoff Axes gibt es nur ein Modell.

Handwerk auf der Insel

Ein Samstag in Stockholm. Mit der Fähre braucht man etwa fünfzig Minuten vom Stadtzentrum bis zur Insel Fjäderholmarna. Normalerweise ist sie ein beliebtes Ausflugsziel, gerade groß genug für einen Sonntagsspaziergang und anschließendem Räucherlachsessen im Hafenrestaurant.

Heute jedoch findet hier die erste Ausgabe des Foodstock-Festivals statt, das einen Überblick geben will über den aktuellen Stand der skandinavischen Küche. Ausgedacht hat sich das Niklas Ekstedt, einer der bekanntesten Sterneköche Schwedens. Neben Essensständen, Grillstationen und Sitzgelegenheiten, die malerisch über die Felsen verteilten sind, ist am äußersten Inselzipfel ein kleiner Handwerksmarkt aufgebaut.

Von dort aus hat man einen instagramtauglichen Blick auf den Schärengarten und die gelegentlich vorbeiziehenden, surreal riesigen Kreuzfahrtschiffe. Es ist sonnig und ungewöhnlich warm für Anfang September.

"Ich habe schon immer gerne handwerklich gearbeitet", erzählt Julia Kalthoff.
Foto: Tina Stafrén

Auf dem Handwerksmarkt treffen wir Julia Kalthoff. Sie trägt Erdfarben: eine beige, leger geschnittene Hose, ziegelrote Turnschuhe ohne Markenlogo, ein aschgraues Hemd und ein T-Shirt im Farbton des Meeres. Ihr Gesicht ist so markant wie makellos, die dunkelblonden Haare werden von einer goldenen Spange zusammengehalten. Wie zierlich ihre Figur ist, muss erwähnt werden, weil sie nicht passen will zum Kraftakt, mit dem ihr Lebensunterhalt verbunden ist.

"Ich habe schon immer gerne handwerklich gearbeitet ", erzählt sie mit festem Blick aus hellgrünen Augen. "Mit neunzehn wusste ich, dass ich Schmiedin werden will, weil ich Feuer liebe und mich gerne schmutzig mache. Eher zufällig landete ich bei einem auf Äxte spezialisierten Betrieb, der schwedischen Firma Gränsfors Bruk. Nach einem halben Jahr wurde ich gefragt, ob ich den Geschäftsführer des Schwesterunternehmens Wetterlings vertreten wolle, und als er kündigte, habe ich seinen Posten fünf Jahre lang übernommen."

Von da war es nur noch ein kleiner Schritt in die Selbstständigkeit. Seit 2016 gibt es Kalthoff Axes, im Oktober letzten Jahres nahm die Gründerin die ersten Aufträge an. Kunden bestellen direkt über die Website oder einen der in den USA, Südkorea, Japan und Schweden ansässigen Zwischenhändler. Gefertigt wird in einer unterirdischen Garage im Zentrum von Stockholm.

Veredelung

Kalthoff unterbricht kurz das Gespräch, um ihr Produkt einem Festivalbesucher zu erklären. Der mit Schirmmütze und Kamera ausgestattete Mann würde gerne einkaufen, aber leider ist schon alles weg. Es läuft gut für die Dreißigjährige, nicht nur heute beim Foodstock-Festival. "Im Moment habe ich mehr Aufträge als Zeit. Ohne meine zwei Teilzeitarbeitskräfte wäre ich aufgeschmissen."

Eine One-Woman-Show ist ihr Unternehmen allerdings auch sonst nicht. Mit Fredrik Haakonsen, einem Doktor für Stahlwerkzeug, hat sie die perfekten Schmiede- und Härtemethoden entwickelt. Das Holz für ihre Äxte stammt aus ihrer Heimat, dem südschwedischen Skåne, während die Klingen von einer Schmiede in Arvika geliefert werden. Kalthoffs Aufgabe ist die Veredlung: das grobe und feine Schleifen und Polieren der Klinge, das Formen und Abschleifen des Stiels sowie die Feinabstimmung der fertigen Axt.

Das Holz für Julias "Kalthoff Axes" stammt aus ihrer Heimat, dem südschwedischen Skåne. An der perfekten Schmiede feilt sie mit dem Doktor für Stahlwerkzeug, Fredrik Haakonsen.
Foto: Tina Stafrén

Außerdem hat sie das Design entwickelt, zusammen mit der Meisterschnitzerin Beth Moen, die sie ihr großes Vorbild nennt. Ein bis zwei Stunden braucht sie, um jeder Axt zur Perfektion zu verhelfen. Das Standardmodell Small Carver 01 wiegt 550 Gramm, eignet sich für Beginner und Fortgeschrittene und kostet umgerechnet rund 180 Euro.

Von Äxten und iPhones

Warum Äxte? Kalthoff strahlt. "Es gibt sie seit zweieinhalb Millionen Jahren, sie markieren den Übergang zur Zivilisation. Dank ihnen konnten unsere Vorfahren Häuser bauen und Feuer machen. Eine Axt ist die Verlängerung des Selbst und fordert gleichzeitig Respekt vor ihren Materialien."

Während sie spricht, folgt ihr ganzer Körper den Worten, eine schleifende, kraftvolle Bewegung, ein Ausholen, als würde sie mit einem ihrer Werkzeuge arbeiten. Mindestens so sehr wie diese liebt sie deren Herstellung, den Übergang vom toten zum lebendigen Material. "Insbesondere das Schnitzen macht mir riesigen Spaß und funktioniert zugleich als Medizin." Sie fände dabei zu einem ganz eigenen Rhythmus und zu einer besonderen Form der Entspannung.

Die zeitgenössische Wellnessindustrie spricht in diesem Zusammenhang gerne von Flow. "Indem ich über die Axt nachdenke und ein perfektes Modell schaffe, können andere darüber nachdenken, was sie damit anstellen."

Wer sind diese anderen? Hauptsächlich Privatpersonen auf der ganzen Welt auf der Suche nach einer sinnlichen Ablenkung vom technologielastigen Alltag. Für die junge Frau ist dieses Phänomen nicht besonders überraschend, sollte aber ihrer Meinung nach auch nicht größer gemacht werden, als es ist: "Menschen arbeiten eben gerne mit Holz."

Äxte markieren den Übergang zur Zivilisation, ist Julia Kalthoff überzeugt.
Foto: Tina Stafrén

Ihr eigenes iPhone, das während des Gesprächs in ihrer Hosentasche steckt, will sie nicht missen. Schon allein, weil es sie über Instagram mit Axtfans auf der ganzen Welt verbindet. Nur eine weitere weibliche Herstellerin ist ihr bekannt, die wie sie in Schweden lebt, sonst seien es nur Männer.

Hat sie jemals ihr Geschlecht zu spüren bekommen? Kalthoff überlegt kurz. "In Russland hielten mich die Messebesucher aufgrund der Sprachbarriere für eine Hostess. Abgesehen davon gab es nie Probleme. Ich habe aber auch nie Schwäche gezeigt, im Gegenteil. Während meiner Ausbildung habe ich immer die besonders schweren Aufgaben übernommen." Sie selbst bezeichnet sich als Feministin, möchte aber keine Symbolfigur sein. "Ich will nicht als Frau gesehen werden, sondern als Profi."

Lieber als sich lässt sie das Handwerk sprechen, so wie in diesem Moment, als sie sich an den kniehohen Tisch vor ihrem Stand setzt und mit konzentriertem Blick einen Stapel Holzbeile abschleift. Erst jetzt fallen die vereinzelten, bereits verheilten Schnittwunden auf ihren Unterarmen auf und die kurz geschnittenen, leicht schmutzigen Nägel.

Nach einigen Minuten kehrt sie an ihren Stand zurück. Eine letzte Frage: Was macht jemand in seiner Freizeit, der sich hauptberuflich mit dem beschäftigt, was für eine wachsende Gruppe Freizeit ist? Kalthoff lacht. "Ich lese und esse gerne, das habe ich mit meiner Schwester gemeinsam, die Köchin ist. Freunde sind mir wichtig und Zeit in der Natur. Und ich liebe Tangotanzen." (Eva Biringer, RONDO, 3.1.2020)