Das Ecklokal mit schwarzweiß marmorierten Steinfliesen, oranger Wand und eng gestellten Tischen wirkt nicht wienerisch. In Oberitalien, zwischen Udine und Brescia, kennt man solche Lokale, die mit einer Mischung aus Improvisation und farbenfrohem Stilbewusstsein zwischen Renaissancearkaden gestemmt werden.

Ziemlich italienisch ist auch das Restaurantkonzept, das der gebürtige Kärntner Michael Köberl sich für sein erstes eigenes Lokal zurechtgelegt hat: Speisekarte gibt es keine, das Angebot trägt der Patron am Tisch vor, um dann aus einem winzigen Kobel ein Menü in mehreren Gängen herauszukochen.

Michael Köberls Spoon an der Ecke Seilerstätte/Fichtegasse: kleines Bistro, winzige Küche, großzügiger Koch.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalifornische Wurzeln

Und zwar zu einem Preis, den man sich in dieser Qualität auch nur in transalpinen Gegenden erwarten darf – und natürlich in echten Metropolen wie London oder Paris, wo junge, ambitionierte Köche seit Jahren mit solchen Kampfpreisen um die verwöhnte Kundschaft buhlen. Drei Gänge kocht Köberl um 29 Euro, vier um 39, fünf um 49 Euro. Dass er dazu die eine oder andere Köstlichkeit außertourlich an die Tische schickt, kennt man auch nur aus Italien.

Köberl hat lange in Hollywood an der Seite Wolfgang Pucks (Spago) gekocht, der seit den 1980er-Jahren ein weltumspannendes Restaurantimperium aufgebaut hat. Die Küche im Spoon will ihre Wurzeln im Kalifornien der vergangenen Jahrhundertwende keineswegs verleugnen.

Der erste Gang steht quasi zeitgleich mit dem Aperitif auf dem Tisch, auch danach legt Köberl Tempo vor: Tunfisch-Tartare mit Wasabi-Mayonnaise auf einem Chip aus knusprigem Miso-Sesam, dazu ein Klecks Kaviar, Gari und ein paar Kressesprossen – eine makellos abgeschmeckte Zeitreise ins Los Angeles der Eighties.

Nostalgisch geht es mit einem Salat aus hauchdünn geschnittenen und geschälten Fleischtomaten in idealer Reife weiter, der statt eines Dressings sphärisierte Perlen aus Olivenöl und Balsamico drübergestreut bekommt – was waren wir aufgeregt, als es vor 25 Jahren solche Zaubereien aus dem Chemiebaukasten zu kosten gab!

Salat aus roten und gelben Rüben
Foto: Gerhard Wasserbauer

Salat aus roten und gelben Rüben (siehe Bild), noch so eine flink eingeschobene Freundlichkeit, ist nicht minder retro: Die al dente gegarten Scheibchen mittels Keksausstecher in Rosettenform gebracht und auf dem Teller zu Mandalas aufgelegt, dazu abwechselnd je einen Tupfer von gelber und roter Rübencreme aufgesetzt, obenauf gibt's noch ein bissl Feige und eine weitere Rosette vom Feta. "Schaut irrsinnig lieb aus" (Zitat vom Nebentisch) – und ist schon der zweite Gemüsegang in Folge. Das nämlich ist gar nicht retro.

Retroselig

Caesar Salad, der notorisch verhunzte US-Klassiker, darf endlich zeigen, worum es bei ihm geht: Um die kraftvoll mit Sardellen und sensibel mit Knoblauch abgeschmeckte Marinade nämlich, die sich an herrlich fleischige Romana-Blätter schmiegt. Köberl setzt Brioche-Croutons drauf, dazu Parmesan-Späne und Krusteln vom mild geräucherten Speck – eine ziemlich endgültige Interpretation.

Knuspriges Bratl vom Mangalitza-Bauch mit Stöcklkraut ist auch fantastisch, die geröstete Briochescheibe ist ein willkommener Ersatz für Semmelknödel – gleich nach dem Caesar schmeckt sie halt nach Wiederholung. Mahi-Mahi mit cremigem Wildreis und Currysauce ist dann fast schon zu viel der Retroseligkeit.

Zweierlei Ministeaks, einerseits vom Omaha-Beef, andererseits vom heimischen Angus, sind dafür ein kluger Gag: Im direkten Vergleich wird der Kontrast aus bissfestem, kraftvollem Fleisch (von hier) und der souveränen Butterweichheit des US-Beefs offenbar.

Beim Wein verlässt sich Köberl neben ein paar günstig kalkulierten, offenen Optionen auf eine Liste großer, alter Namen von Knoll bis Tement, deren gereifte Granaten halt auch entsprechend kosten. (Severin Corti, RONDO, 13.9.2019)

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Lokale in Österreich: Severin Cortis Restaurantkritiken