Europäische Eisenbahnunternehmen wollen eine gemeinsame Sprache finden.

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Die Eisenbahn ist ein hochkomplexes System, das in vielen Dingen noch national verhaftet ist. Vor allem in Europa gibt es viele historisch gewachsene nationale Bahnsysteme. Der technische Fortschritt führte zu immer besseren Systemen, die den älteren überlegen waren.

Jede Bahngesellschaft führte die jeweils modernste, wirtschaftlichste Technik ein – falls sie nicht schon ein älteres System verwendete, zu dem Kompatibilität gefordert war. Diese teils sehr unterschiedlichen technischen Standards behindern einen grenzüberschreitenden Bahnverkehr. Eine Tatsache, die in "Eisenbahner"-Kreisen immer wieder unter dem Stichwort Interoperabilität diskutiert wird.

So auch unter den Teilnehmern eines einschlägigen Round Table, der von einem Fachmedium in Wien veranstaltet wurde. Der Tenor: Um die Systeme untereinander kompatibel zu machen, braucht es gemeinsame Standards, die notwendigen Investitionen in die Bahninfrastruktur und den klar erkennbaren politischen Willen zur Bereitstellung der notwendigen Finanzmittel.

"Technisch haben wir heute viele Möglichkeiten, die Interoperabilität voranzubringen, doch in betrieblicher Hinsicht sind wir noch nicht am Ziel", sagte etwa Hannes Boyer. Die größte Herausforderung sieht der CEO von Thales Österreich, einem Anbieter von Schlüsseltechnologien im Bereich Bahnverkehr, darin, die betriebliche Interoperabilität mit größtem Nutzen zum Kunden zu bringen.

Optimierungen notwendig

Wolfgang Röss, Leiter Transport, Fracht-und Bahn-Automation bei Siemens Österreich, sieht den Sachbestand so: "Die Interoperabilität ist kein technisches Problem, es gibt keine Hürden mehr. In dieser Hinsicht sind die politischen Entscheidungen schon getroffen worden." Aber Fakt sei: Bei den Bahnen gibt es einen physischen Bestand – Stellwerke, Zugsicherungssystem etc. – draußen auf der Strecke.

"Dort müssen wir die Einbettung der Interoperabilität vornehmen." Das gehe aber nicht von heute auf morgen, schränkt Röss ein. Viele Bahnunternehmen fühlen sich eher der Eigenoptimierung als der internationalen Optimierung verpflichtet. Deshalb fordert Röss: "Hier muss der Wandel einsetzen mit dem Ziel, in ganz Europa beim Bahnbetrieb einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen."

Für den Industriellen Kari Kapsch wiederum, CEO von Kapsch Carriercom, stellt sich die Lage so dar: "Die Bahnen sind in Europa schon voll interoperabel, denn sonst könnte ja kein Zug von Nord- nach Südeuropa oder von West- nach Osteuropa fahren." Das Problem, das er sieht, ist die Investitionsgeschwindigkeit der europäischen Staaten. Diese betonten zwar immer die Umweltfreundlichkeit der Bahn, kämen aber mit den nötigen Finanzmitteln zu langsam um die Ecke.

Überhaupt, das liebe Geld: Aus Bahnsicht habe alles, was in den vergangenen Jahren unter dem Titel Interoperabilität passiert ist, viel Geld gekostet, und "wir sind heute genauso wenig interoperabel wie zuvor, nur das Niveau der Nichtinteroperabilität ist höher geworden", stellt Clemens Först, CEO der Rail Cargo Group, des Güterkonzerns der ÖBB, fest.

Die Art und Weise, wie die fehlende Interoperabilität in Europa kompensiert wird, seien die Investitionen der Bahnen selbst, weil sie beispielsweise in Multisystemloks investieren, um interoperabel zu werden.

Keine raschen Profite

"Der Istzustand ist nicht zufriedenstellend, weil die Interoperabilität in technisch-infrastruktureller Hinsicht nicht vorhanden ist", meint Först. Der Manager ist skeptisch, dass sich das so schnell ändern wird, weil es keine zufriedenstellenden Anzeichen für die Standardisierung gebe. "Selbst wenn wir die technische Interoperabilität in fünf bis zehn Jahren hergestellt bekommen, müssen noch viele Fragen in Sachen Normen, Vorschriften, Prozesse geklärt werden."

Da der Weg zur Interoperabilität im großen Stil noch weit ist, stellt sich die Frage, mit welchen Maßnahmen sich "Quick Wins", also Profite ohne großen Aufwand, erzielen lassen. Kurzfristig könnte das nur im betrieblichen Bereich passieren. Beispielsweise könne man das Übergabeprozedere der Züge an den Grenzen vereinfachen. Eine gemeinsame Bahnsprache wie beispielsweise Englisch im Flugverkehr wäre ein guter Lösungsansatz.

Wirtschaftlicher Druck

Derzeit werde in der breiten europäischen Öffentlichkeit zwar wahrgenommen, dass viel Geld in die Infrastruktur investiert wird. "Aber Tatsache ist, dass die Interoperabilität bislang zulasten der Bahngesellschaften ging, die dafür viel Geld in die Hand nehmen müssen, um interoperabler zu werden.

Die hohen Infrastruktur-Investments brachten den Bahnen bisher aber keine spürbaren Vorteile", hält Först fest, dessen Unternehmen schon die eine oder andere millionenschwere Finanzspritze vom Staat erhalten hat.

Wenn man es schaffe, vereinfachte Systeme zu implementieren, und es darüber hinaus gelingt, Standards schneller als bisher auszurollen, dann stellen sich "Quick- Wins" ein, ist Boyer überzeugt. Kapsch hingegen ist skeptisch: "Im Bahnbereich kann es keine schnellen Profite geben. Bei den zukünftigen Aufgaben reden wir nicht von Monaten oder Jahren, sondern von Jahrzehnten."

Fakt ist: Die Bahnen stehen auf dem Markt unter Druck und versuchen im Rahmen der im Vorjahr ins Leben gerufenen Initiative "Rail Freight Forward" auf europäischer Ebene Unterstützer zu finden – auch in puncto Interoperabilität. (Markus Trostmann, 11.9.2019)