Der Umgang der Freiheitlichen mit dem umstrittenen Auftritt Ursula Stenzels ist symptomatisch: Erst leugnete man, dass sie Stadträtin ist, dann dass sie gewusst hat, wo sie war.

Foto: expa/Michael Gruber

Die FPÖ produzierte auch während ihrer Regierungszeit fortwährend sogenannte Einzelfälle, also rechtsextreme oder gewalttätige Vorfälle. Das zeigt eine neue Broschüre des Mauthausen-Komitees (MKÖ), die den Zeitraum von Juni 2018 bis Ende Juli 2019 abdeckt. Über sechzig Einzelfälle wurden in dieser Zeit registriert, und zwar "auf allen Ebenen der Partei".

Ein Ortsparteiobmann schoss nach der Auflösung der türkis-blauen Regierung von seinem Balkon und stellte sich dabei angeblich ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor. Ein anderer schlug im Jänner 2019 bei einem Streit im Straßenverkehr einem Jugendlichen ins Gesicht – beide sind mittlerweile durch Rücktritt oder Ausschluss nicht mehr in der Partei.

Ein FPÖ-Gemeinderat, der behauptete, dass der Begriff "Nazi" eine "Erfindung der Juden" sei, durfte weiter in der Partei bleiben. Man tat das Posting als Satire ab.

Anders endete der Fall eines damaligen FPÖ-Ortskassiers im oberösterreichischen Natternbach im Bezirk Grieskirchen: Der Mann hatte der Grünen-Politikerin Alev Korun in einem Facebook-Posting eine Massenvergewaltigung gewünscht – obwohl die FPÖ ansonsten ja betont, keine Toleranz gegenüber Sexualverbrechen zu zeigen. Korun wehrte sich vor Gericht – mit Erfolg, wie DER STANDARD erfuhr: Kurz vor der Gerichtsverhandlung lenkte der Mann ein, eine Einigung kam zustande.

"Unfreiwillige Spende"

Der Mann muss auf seinem Facebook-Profil bis zum 23. Oktober eine Ehrenerklärung anheften. Diese ist bereits abrufbar, der Text ist direkt oberhalb des Profilbilds zu lesen: "Ich habe im Dezember 2018 Frau Mag.a Alev Korun auf Facebook öffentlich sehr grob beleidigt und beschimpft. Mir tut dieser Vorfall sehr leid und ich entschuldige mich dafür!" Zusätzlich muss der Urheber des Postings die Anwaltskosten Koruns begleichen und der Grünen-Politikerin eine symbolische Entschädigung von 250 Euro überweisen. Wobei Korun diesen Geldbetrag in eine – aus Sicht des Facebook-Posters – "unfreiwillige Spende für Menschenrechte" umwandelt, wie sie dem STANDARD erklärt: Die Summe werde der Asylberatung Asyl in Not zugutekommen, kündigt Korun an. Es ist nicht das erste Mal, dass die frühere Nationalratsabgeordnete Opfer einer Attacke auf Social Media wurde und sich erfolgreich dagegen wehrte. Jedes Mal seien die Urheber FPÖ-Funktionäre gewesen, sagt Korun.

Einige der vom MKÖ gesammelten "Einzelfälle" spielen sich auf der höchsten Personalebene der FPÖ ab. Zum Beispiel die Klage von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gegen den Politikberater Rudi Fussi. Strache behauptete, ein Foto, das von Fussi geteilt worden war und Strache mit Mitgliedern der rechtsextremen Identitären Bewegung zeigt, sei gefälscht.

Kritisiert werden auch einstige freiheitliche Minister, darunter der jetzige Parteiobmann Norbert Hofer. Dieser war führend darin, rechtsextreme Medien mit ministeriellen Inseraten zu sponsern.

In Summe ergibt sich für das Mauthausen-Komitee ein "Muster hinter den Einzelfällen". Die antifaschistische Initiative urteilt, dass "eine Entwicklung der FPÖ zur Mäßigung und damit zur Regierungsfähigkeit nicht einmal in Ansätzen erkennbar ist".

Es gebe "keinen Hinweis darauf, dass die FPÖ ihre engen Verbindungen zu rechtsextremen Kräften im In- und Ausland ernsthaft beenden will". Eine "zynische Menschenverachtung und Gewaltbereitschaft" seien häufige Merkmale der Einzelfälle. Außerdem sei oftmals eine Nähe zum Nationalsozialismus erkennbar. Antisemitismus in der FPÖ nehme zu, heißt es in der Dokumentation der Einzelfälle.

FPÖ reagiert allergisch

In den vergangenen Jahren hat die FPÖ allergisch auf Broschüren des Mauthausen-Komitees reagiert. Von der Initiative halte er "nichts", sagte etwa der oberösterreichische FPÖ-Obmann Manfred Haimbuchner. Der Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek erklärte sogar, dass die Broschüre "Fake" und "erlogen" sei – und musste diese Behauptung nach einem Prozess widerrufen.

Der designierte FPÖ-Obmann Norbert Hofer erklärte nun, er wolle mit einem "Durchgriffsrecht" bei rechtsextremen Vorfällen ausgestattet werden. Im Interview mit dem "Profil" gab er vergangenes Wochenende an, die FPÖ müsse "viel sensibler sein als andere Parteien".

Eine erste Nagelprobe lieferte die Stadträtin Ursula Stenzel, die am Samstag bei einer identitären Veranstaltung sprach, bei der das Ende der Türkenbelagerung 1683 gefeiert wurde. Stenzel gab an, nicht zu wissen, dass Identitäre die Veranstalter des Aufmarschs waren – und Hofer gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Generalsekretär Harald Vilimsky verteidigte Stenzel als "Grande Dame der Kommunalpolitik", FPÖ-Vize Herbert Kickl wiederum konnte "nichts Anstößiges" in ihrer Rede erkennen.

Die Frage, wie sich die FPÖ gegenüber den vermeintlichen Einzelfällen verhält, dürfte auch im Fall einer möglichen Regierungsbeteiligung der FPÖ wieder an Brisanz gewinnen. Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat nach Auflösung der Koalition erklärt, er habe durch die ständigen Einzelfälle in der FPÖ "viel aushalten" und "viel runterschlucken" müssen. Außer der ÖVP schließt derzeit jede Partei eine Koalition mit den Freiheitlichen aus. (Fabian Schmid, Maria Sterkl, 11.9.2019)