"Es wird keine leeren Museen geben. Denn es geht nicht um Rückgaben en masse, sondern um wichtige Schlüsselobjekte", sagte Bénédicte Savoy bei ihrem Besuch in Wien.

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Die Subsahara-Afrika-Sammlung des Wiener Weltmuseums umfasst 37.000 Objekte. Bronze-Figuren aus dem früheren Königreich Benin wurden in einer britischen Strafexpedition 1897 geraubt. Nach Wien gelangten einige Stücke durch Ankauf. Seit 2010 gibt es einen internationalen Dialog mit Nigeria über die Zukunft der Objekte. Foto:_KHM

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Wenn Bénédicte Savoy über ihr liebstes Reizthema spricht, dann ist da keine Spur von jener Verbitterung, die zuweilen ihre Kritiker an den Tag legen. Die französische Kunsthistorikerin, die seit drei Jahren zur Galionsfigur rund um die nach Jahrzehnten der Stille neu entfachte Debatte über Rückgaben kolonialer Kulturgüter aus Afrika geworden ist, strahlt trotz allem Zuversicht aus.

Dabei ist die Realität erdrückend: Fast das gesamte Kulturgut Afrikas, vor allem jenes südlich der Sahara, befindet sich in europäischen Museen – rund eine Million Objekte, Kunst- und Kultgegenstände, die über die Jahrhunderte kolonialer und postkolonialer Zeit geraubt, abgepresst oder um den Wert einiger Hühnereier angekauft wurden. Nur ein kleiner Bruchteil davon kann in den Museen ausgestellt werden, der Rest schlummert in den Depots. Auch beim 2017 neu eröffneten Weltmuseum Wien ist das so. Auf dessen Einladung war Bénédicte Savoy am Montagabend im Wiener Kreisky-Forum zu Gast.

Macrons Versprechen

In einem Mediengespräch lobte sie das neue Konzept des Weltmuseums, es sei "international sehr weit vorne", aber auch Stuttgart, Hamburg oder Brüssel hätten ihre Museen unter kolonialkritischen Aspekten gut neu konzipiert.

Anders war das beim im Aufbau befindlichen Humboldt Forum in Berlin. Aus dessen Beirat ist Bénédicte Savoy 2017 unter Protest ausgetreten, seither wird das Projekt neu überdacht. Zur selben Zeit versprach Frankreichs Präsident_Emmanuel Macron umfangreiche Rückgaben von Objekten an die Herkunftsregionen. Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr, der mit "Afrotopia" (2019) ein lesenswertes Plädoyer für eine afrikanische Renaissance vorgelegt hat, lieferten für Macron einen Bericht über die Situation.

Die Gelbwestenproteste und der Brand von Notre Dame haben Macrons Furor in der Causa allerdings gebremst. Bis auf einige wenige Rückgaben stockt das Vorhaben. In Frankreich werde die Debatte im Vergleich zum deutschsprachigen Raum ohnehin "kaum geführt" , meint Savoy. "Liberté, Fraternité, Kunstraub!", sagt sie, die über die napoleonischen Kulturplünderungen promovierte, scherzhaft über die weit verbreitete Haltung in ihrem Heimatland.

Kolonialismus in Kleinbuchstaben

Während das postnapoleonische Europa sich darauf verständigte, Raubgut zurückzuführen (auch Wien habe fast alles zurückerhalten), habe die systematische Plünderung Afrikas nach der Kongokonferenz 1885 erst so richtig begonnen. 55.000 Objekte seien in 34 Jahren deutscher Kolonialzeit nach Berlin gekommen, 44.000 Objekte ins Pariser Musée du Quai Branly, in dem man – anders als im Wiener Weltmuseum – das Wort Kolonialismus noch heute "nirgendwo in Großbuchstaben lesen wird", kritisiert Savoy.

So sehr sie Macrons Haltung in der Sache für aufrichtig hält, so sehr misstraut_Savoy den Lobbys, allen voran des Kunstmarkts, die auf die französische Administration Einfluss nehmen würden.

Einer kürzlich abgehaltenen internationalen Konferenz des französischen Kulturministers Franck Riester blieben Savoy und Sarr fern, denn: Es sollte über "Kooperation" mit Afrika und "Zirkulation" von Objekten geredet werden, weniger über Rückgaben. "Wir sprechen aber bewusst von Restitution, alles andere verschleiert die koloniale Schuld."

Inventarliste als erster Schritt

Dennoch ist Savoy im Gespräch bemüht, Ängste zu zerstreuen: "Es wird keine leeren Museen geben. Denn es geht nicht um Rückgaben en masse, sondern um wichtige Schlüsselobjekte." Aufnahmebereite Museen gebe es genügend, nur "weiß niemand in Afrika genau, was sich überhaupt in Europa befindet". Savoy schlug daher in ihrem Bericht vor, in einem ersten Schritt vollständige Inventarlisten an die Herkunftsregionen zu übergeben. "Das wäre transparent, ist aber vielleicht nicht so sexy für Politiker". Die Situation in Österreich, wo man sich am Kolonialmarkt bediente, selbst aber keine Kolonien besaß, vergleicht Savoy mit jener der Schweiz. Problematisch seien jedenfalls die Bronzen aus dem Königreich Benin, die aus einer britischen Strafexpedition stammen, was im Museum offen thematisiert wird.

Dass man zu einer großen internationalen Einigung kommen müsste, etwa nach dem Vorbild der Washingtoner Erklärung, die den Umgang mit NS-Raubkunst regelt, hält Savoy für wünschenswert. Dafür sei aber "notwendig, dass ein Land vorprescht".

In ihrem Vortrag vor Publikum machte Savoy deutlich, dass die Debatte nicht neu ist, sondern seit den 1960er-Jahren geführt wird. "Wir waren schon einmal weiter". Aus den 1980er-Jahren existieren sogar Unesco-Musterformulare für Rückgabe-Forderungen. "Damals war es kein Geheimnis, es ist ein Geheimnis geworden. Und jetzt wird es wieder gelüftet."

Weltmuseum-Direktor offen für Rückgaben

Der Direktor des Weltmuseums, Christian Schicklgruber, bemühte sich im Kreisky-Forum, keine allzu große Zielscheibe abzugeben. Im Gegensatz zu seinen Kollegen im British Museum oder Quai Branly, die die Debatte scheuen, zeigt er sich Restitution gegenüber aufgeschlossen. Das Museum beschäftige sich "seit Jahrzehnten mit der Frage. Was ich nicht verstehe: warum ist sie noch nicht gelöst?"

"Wir wollen und sollten sicher nicht alles zurückgeben, aber wir brauchen auch nicht alles", so Schicklgruber. Aktuell gebe es zwar keine konkreten offiziellen Forderungen an das Museum, aber man sei darauf vorbereitet.

Die Initiative müsse jedenfalls von der Politik kommen – etwa durch die Einrichtung einer ständigen Kommission wie es sie bei der NS-Restitution gibt: Der Direktor sieht keine "juristische, sondern ethische Frage. Hoffentlich gibt es eine universale Ethik, auf der man sich treffen kann". (Stefan Weiss, 11.9.2019)